Vom Wandel vor Gott
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Textauszug:
Den
göttlichen Willen in der Regelung des Lebens zu suchen und so Gott selbst zum
Heile der Seele zu finden, das war der Zweck der geistlichen Übungen. Nach
Abschluß der heiligen Exerzitien ist er erreicht: Die Seele ist in liebender
Hingabe mit Gott vereint. Mit dem, der ihr durch seine Gegenwart, durch sein
Wirken und durch sein Wesen so nahe ist, ist sie innig verbunden. Ihr Gehen zu
Gott ist fast unmerklich in den Wandel vor Gott übergegangen.
Köstlicher
Gewinn, der da der Seele geworden ist. Bleibender Gewinn muß es werden, da der
Wandel vor Gott von entscheidender Bedeutung für den Fortschritt der Seele im
geistlichen Leben ist. Eine Vereinigung mit Gott kann auf die Dauer ohne diese
Übung nicht bewahrt werden. Darum soll eine Anleitung über den Wandel vor Gott
den “Weg zu Gott” beschließen.
1.
Die Grundlagen des Wandels vor Gott
Es
ist nicht leicht, den Wandel in der Gegenwart Gottes zu pflegen. Was uns die
Vereinigung mit Gott so schwer macht, ist vor allem unsere sinnlich gebundene
und den äußeren Dingen so sehr unterworfene Natur. Beständig sind wir von
ihnen umworben und ihren Einwirkungen ausgesetzt, und allzu leicht gewähren wir
allen möglichen Geschöpfen Einlaß in unser Inneres.
Der
Wandel vor Gott aber verlangt vor allem Sammlung nach innen. Eine sorgfältige
Aufmerksamkeit auf sich selbst ist notwendig. Die Geschöpfe dürfen nur in
soweit Eingang in unser Inneres finden, als sie die Seele zu Gott führen können.
Alle unnötige Beschäftigung mit den Dingen muß als zweckwidrig abgelehnt und
darum als unnütz, ja als schädlich betrachtet werden. Nur eines gilt als
wesentlich und von Bedeutung: Gott und was mit Gott verbindet. Alles Übrige
wird in Ihm gewertet und um seinetwillen gesucht. Das Wohlgefallen Gottes wird
als das höchste erstrebenswerte Gut erachtet und allem andern vorgezogen.
Das
ist die geistige Haltung dessen, der den Wandel vor Gott üben will. Sie
stellt wahrlich keine geringen Anforderungen an unser sittlich gutes Wollen.
Aber wenn das Reich Gottes zu uns kommen soll, dann müssen wir Gewalt
gebrauchen. Es ist nur denen verheißen, die gesonnen sind, es mit Gewalt an
sich zu reißen. Die geistlichen Übungen haben unseren Willen so geformt und
gestählt, daß wir diesen Anforderungen genügen können.
Die
Seele ist mit tiefer Ehrfurcht vor der göttlichen Majestät erfüllt. Die Sorge
um das eine Notwendige hält die Seele gefangen. Die geschaffenen Dinge gelten
ihr nur soviel, als sie ihr behilflich sind, Gott näher zu kommen. Eine Furcht
nur kennt sie: den heiligen Gott durch bewußte Untreuen zu beleidigen. Und groß
ist ihre Sehnsucht, in liebender Hingabe immer inniger eins mit dem höchsten
Gut zu werden. So vorbereitet, wird es ihr nicht allzu schwer werden, die
Vereinigung mit Gott immer wieder von neuem zu suchen und, von der Gnade Gottes
getragen, die Mühen auf sich zu nehmen, die der Wandel in der Gegenwart Gottes
erfordert.
Erste
Bedingung und Voraussetzung für den Wandel vor Gott ist tiefe, heilige
Ehrfurcht vor der erhabenen Majestät des Herrn. “In Ihm leben wir, in Ihm
bewegen wir uns, in Ihm sind wir” (Ap. 17, 28). Intensiver als der Strahl der
Sonne die Luft durchflutet, eindringlicher als das Wasser alle Teilchen des von
ihm erfüllten Schwammes durchtränkt, lebendiger als die Seele jede Faser und
jede Zelle unseres Körpers erfaßt und durchdringt, erfüllt Gott unser ganzes
Wesen und verleiht uns Sein und Leben und Wachstum. Ganz nahe ist uns Gott, der
dreimal Heilige, der in seiner unendlichen Heiligkeit dem verzehrenden Feuer
gleicht.
Diese
Tatsache müssen wir in innerlichem Kosten und Fühlen erleben, damit sie uns in
Geist und Gemüt zutiefst ergreife und wir erschauern vor dem göttlichen Wesen,
daß wir uns in heiliger Scheu vor Ihm neigen und niederwerfen möchten, um den
anzubeten, der allein aller Anbetung würdig ist. Es muß uns zu Mute werden,
wie Jakob, dem Patriarchen, der in seine Knie sinkt und nur mehr die Worte
stammeln kann: “Wahrlich, der Herr ist an dieser Stätte und ich wußte es
nicht” (Gen. 28, 16).
Daß
wir doch mit einem Propheten Isaias die Herrlichkeit Gottes erfahren könnten!
(Is. 6, 1‑7). Das dreimal Heilig der Engel, die den Herrn umschweben und
Ihm huldigen, läßt den Propheten vor Furcht ob der Unermeßlichkeit und
Unnahbarkeit des unendlichen Gottes fast vergehen. Gott ist ein Wesen, das ganz
Licht, blendende Helle, makellose Reinheit, leuchtende Schönheit ist, ohne
Fehl, ohne Sünde, vor dem alles Geschaffene nichts ist. So über alles heilig,
daß selbst reine Lichtwesen, wie die Engel, und wären es die erhabensten,
nicht mehr rein sind. Sie müssen sich verhüllen, sonst würden auch sie
versengt von der Lichtfülle dieser strahlenden Heiligkeit. Und in ihrer
Ohnmacht und Armseligkeit vermögen auch sie nur mehr zu stammeln: “Heilig,
heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen.”
Ja
furchtbar ist der Herr in seiner Heiligkeit, unnahbar in seiner Herrlichkeit
selbst für die Seraphim, die in unmittelbarer Nähe den Thron des Allerhöchsten
umschweben. “Gott ist Licht und in Ihm ist keine Finsternis” (1. Joh. 1, 5).
Immer wieder spricht die Schrift von Gottes Wesen im Sinnbild des Feuers und des
Lichtes, so daß es scheint, als ob in diesen Bildern am treffendsten die
Geistigkeit und unfaßliche Stärke des allmächtigen Gottes ausgedrückt werden
könnte.
Die
Frucht des Wandels vor Gott wird vor allem in ehrfürchtiger Ergriffenheit
reifen. Wollen wir also in der Gegenwart Gottes wandeln, dann muß tiefe
Ehrfurcht vor Gottes unendlich heiligem Wesen in der Seele glühen und sie mit
innerem Feuer durchleuchten. Immer stärker muß sie sich davon durchdringen
lassen, bis all ihr Tun, ihr Wollen und Handeln nur mehr von dieser Ehrfurcht
getragen ist.
Ignatius
gibt uns dafür ein ganz vortreffliches Mittel an die Hand, das uns Tag für Tag
an die Quellen schöpferischer Allmacht heranführen soll: die allgemeine
Gewissensforschung (43). Gar zu leicht entschwindet ja unserem Sinn das Bewußtsein
geschöpflicher Gebundenheit und Abhängigkeit von Gott und so gern nehmen wir
unser Dasein und Leben als eine selbstverständliche Gegebenheit hin und
vergessen, daß wir doch ständig, jeden Augenblick neu, Leben und Dasein aus
Gottes Hand empfangen. Die “allgemeine Gewissenserforschung” soll immer
wieder in uns die Gesinnung demütiger Übereignung unseres Wesens an Gott und
ehrfürchtiger Anbetung der göttlichen Majestät erneuern, jene geistige
Grundhaltung, aus der heraus das ganze Exerzitienbüchlein geschrieben ist und
zu der es anleiten will.
Ende des Textauszugs