Vorwort

Wer kennt heute noch den Geistlichen Kampf von Lorenzo Scupoli? Immerhin liest man bei Ad. Tanquereys Grundriß der aszetischen und mystischen Theologie über diese Schrift, sie werde „mit Recht vom hl. Franz von Sales als eine der besten kleinen Abhandlungen über das geistliche Leben geschätzt". Man kann nur darüber spekulieren, weshalb Scupolis Werk kaum noch bekannt ist. An seiner Qualität kann es jedenfalls nicht liegen ...

Francesco Scupoli kommt 1530 in der Hafenstadt Otranto bei Neapel zur Welt. Aus den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens wissen wir nur weniges. Jedenfalls scheint er sich in seinen Jugendjahren den höheren Studien zu widmen. Erst mit 40 Jahren tritt er in einen Orden ein, der nur wenig älter ist als Scupoli selbst, den Ordo Clericorum Regularium vulgo Theatinorum (OTheat). Die Theatiner, wie sie im Volksmund heißen, waren am 14.9.1524 vom hl. Kajetan von Thiene (sein Fest wird am 7. August gefeiert) und von Gianpietro Caraffa (der 1555 als Paul IV. auf den päpstlichen Stuhl kam) gegründet worden. Der Name des Ordens geht auf Caraffa zurück, der von 1505-1524 Bischof von Chieti war. Chieti heißt lateinisch Theate, daher der Name Theatiner. Dieser neue Orden entsprang dem Reformgedanken seiner Gründer. Er war eine von vielen Initiativen, die den Ausweg aus der kirchlichen Krise in der Erneuerung des Klerus suchten. Noch lag im Gründungsjahr des Theatinerordens (1524) das Reformkonzil von Trient in weiter Ferne; eben erst hatte Giulio dei Media als Clemens VII. den päpstlichen Thron bestiegen. Sein Pontifikat war geprägt von Unentschlossenheit, Schwäche und mangelnder Urteilskraft im Hinblick auf die reformatorischen Umtriebe, die sich in Deutschland und auch in anderen Ländern auszuweiten begannen. Doch die Gründung der Theatiner und zahlreiche geistesverwandte Bestrebungen (der Jesuiten, Barnabiten etc.) zeigen, daß die wahre Reform der Kirche nicht von Häretikern und Apostaten ausgeht, sondern von Männern und Frauen, die der kirchlichen Überlieferung und dem katholischen Glauben treu bleiben. Außerdem wird an diesen Reformbemühungen im 16. Jahrhundert deutlich, daß sehr oft in der Kirchengeschichte die Grundlagen für eine wahre Erneuerung gelegt werden, lange bevor die Krise ihre eigentliche Dramatik offenbart und den Höhepunkt erreicht. Während das Haus schon einzustürzen beginnt, ist der Wiederaufbau längst im Gange.

Drei Jahre nach ihrer Gründung in Rom übersiedelten die Theatiner 1527 (im Jahre des Sacco di Roma) von Rom nach Venedig und später nach Neapel. Hier schloß sich im Jahre 1555 der frühere Anwalt Andreas Avellino den Theatinern an (er wurde 1712 heiliggesprochen, sein Fest wird am 10. November gefeiert). Andreas Avellino ist es, der den fast 40-jährigen Scupoli bewegt, 1570 bei den Theatinern in San Paolo zu Neapel einzutreten. Seinen Taufnamen Francesco vertauscht er jetzt mit Lorenzo. Scupoli legt am 26.1.1571 die Ordensgelübde ab, absolviert die philosophischtheologischen Studien und empfängt am Weihnachtstage 1577 in Piacenza die hl. Priesterweihe. Sogleich beginnt er eine segensreiche Tätigkeit, zuerst in Oberitalien (Mailand und Genua), wo es inzwischen mehrere Niederlassungen des Ordens gibt, später in Rom. Scupoli erlangt rasch Erfolg und Beliebtheit als Beichtvater und Seelenführer. Doch sein fruchtbares Wirken als Seelsorger ist früh und jäh zu Ende. Gegen Scupoli werden schwere - verleumderische - Anschuldigungen vorgebracht. Ob sie die Reinheit des Glaubens oder die sittliche Lebensführung betreffen, wissen wir nicht. 1585, im achten Jahr seines Priestertums, wird Lorenzo Scupoli in den Laienstand zurückversetzt. Da er sich nicht wirksam verteidigen kann, nimmt er die Degradierung als Fügung Gottes an. Fortan ist er bis zu seinem Tode am 28.11.1610 - noch 25 Jahre also - als Laienbruder tätig, zuerst in Venedig, danach in Neapel. Hier stirbt er an dem Ort, wo er 40 Jahre zuvor vom hl. Andreas Avellino ins Noviziat aufgenommen worden war.

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„Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten" (Rom 8,28). Manch anderer wäre seinem Orden untreu geworden oder hätte sich seiner dumpfen Verzweiflung überlassen. Doch Scupoli zeichnet sich aus durch heroische Ergebenheit in Gottes Vorsehung. In vorbildlicher Geduld erträgt er seine bittere Not; und so gereicht ihm die ungerechte Bestrafung zur Heiligung. Statt gegen Gott und die Oberen zu hadern, beginnt er zu schreiben, soweit es seine beschwerliche Arbeit als Laienbruder zuläßt. Nicht für die Öffentlichkeit und für die Bekehrung anderer greift er zur Feder, sondern um sich selbst Ermahnungen zu erteilen. Er entwirft eine Strategie, wie die Seele - seine Seele - dem bösen Feind widerstehen könne. Der Schüler, dem er diesen Plan und die nötige Taktik im Kampf mitteilt, ist ursprünglich ausschließlich er selbst. Das erklärt vielleicht seinen direkten und ungeschminkten Stil. Erst durch Vermittlung anderer Personen, die des Laienbruders Aufzeichnungen lesen, gelangen diese zum Druck. Das ist im Jahre 1589, vier Jahre nach der Rückversetzung Scupolis in den Laienstand.

Die erste Ausgabe des Combattimento spirituelle enthält 23 Kapitel, in einer Neuausgabe desselben Jahres sind es bereits 33, dann 40, schließlich 66 Kapitel. Das Werk richtet sich anfänglich nicht etwa an die gesamte Aszetenwelt, sondern nur an die Ordensschwestern von Sankt Andreas in Venedig. Doch der Stein kommt ins Rollen. Zwar kennt die Öffentlichkeit den Autor der kleinen Schrift nicht: Lorenzo Scupoli bleibt verborgen. „Zusammengestellt von einem Diener Gottes", heißt es auf dem Titelblatt. Das verhindert aber ihre rasche Verbreitung nicht. Noch im selben Jahr wird eine Neuauflage im gleichen Venezianer Verlag notwendig, und von nun an jagen sich, Jahr um Jahr, immer neue Ausgaben, bald auch in anderen Städten Italiens. Seit dem Jahre 1593 wird der Verfasser als „Theatiner" vorgestellt. Doch erst 1610, kurz nach Scupolis Tod, erscheint in einem Neudruck von Bologna zum ersten Mal sein Name auf dem Titelblatt.

Der Geistliche Kampf wird in fast alle europäischen Sprachen übersetzt, dann auch in indische und asiatische. In England wird er für die Protestanten bearbeitet, in der orthodoxen Kirche findet er in griechischer und russischer Sprache Verbreitung unter dem Titel Die unsichtbare Fehde. Auch hier erscheint er anonym, wird aber als Eigengut empfunden. Bis heute rechnet man weltweit mit insgesamt 400 bis 500 Ausgaben - ein Klassiker!

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Die vielen und hohen Auflagen, die Lorenzo Scupolis Werk in der gläubigen Christenheit gefunden hat, sind gewiß die beste Empfehlung für diese kleine Schrift. Nur eine oberflächliche Lektüre oder falsche Erwartungen könnten den Geistlichen Kampf für überholt oder ungeeignet erachten.

Man suche keine Darlegung der Erhabenheit, Schönheit und Notwendigkeit des inneren Lebens; erst recht nicht die Beschreibung der großen Zusammenhänge im Geistesleben, die einen wohlgefügten, reichgegliederten Bau vor dem Auge des Lesers erstehen ließe. All dies setzt Scupoli voraus, und seine Schrift ist deshalb nicht für Anfänger oder religiös Unwissende gedacht. Der Geistliche Kampf ist für Menschen geschrieben, die bereits ein geregeltes religiöses Leben führen und die vor allem entschlossen sind, den Weg der Vollkommenheit zu beschreiten, gemäß dem Wort unseres Herrn: „Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5,48).

Natürlich bringt Scupoli der Sache nach nichts Neues zur Sprache. Dieselben Hinweise und Ratschläge finden sich auch bei anderen geistlichen Autoren. Doch kaum ein zweiter hat so knapp und präzise den geistlichen Kampf beschrieben, seinen Verlauf und die wesentlichen Strategien bis ins Detail und nach allen Richtungen hin durchleuchtet. Freilich verliert Scupoli keine überflüssigen Worte und sucht nicht dem Geschmack des Lesers zu schmeicheln oder ihm auch nur ein Zugeständnis zu machen; er sagt einfach unverblümt, was er zu sagen hat. Sobald der Leser sich aber damit abfinden kann, wird er dieses Buch liebgewinnen. Denn in der Beschränkung und Konzentrierung auf das Thema liegt seine Stärke und Brauchbarkeit. Frei von einseitigem Voluntarismus (Mißtrauen gegen sich selbst und Vertrauen auf Gott sind zwei der vier Hauptpfeiler des Geistlichen Kampfes), wird der Anteil, der dem Menschen auf seinem Weg zur Einigung mit Gott zufällt, praktisch, „klar und ganz durchführbar" (hl. Franz von Sales) dargelegt. Und wer schließlich beginnt, den Geistlichen Kampf nicht nur zu lesen, sondern ihn auch zu kämpfen, wird das Urteil, schnell bestätigen, daß sich Scupolis Schrift „durch psychologisches Feingefühl und weise Maßhaltung auszeichnet" (Lexikon für Theologie und Kirche 1937).

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Wenn der Geistliche Kampf noch einer Empfehlung bedarf, so hat sie kein Geringerer als der hl. Franz von Sales (1566-1622) abgegeben. Der Bischof von Genf, der 1665 heiliggesprochen und 1877 zum Kirchenlehrer ernannt wurde, gilt unbestritten als brillanter Kenner der menschlichen Seele und des Weges zur Vollkommenheit. Diese Kenntnis, seine Einfühlsamkeit und Milde machten den hl. Franz von Sales zu einem ebenso beliebten wie fruchtbaren Beichtvater und Seelenführer. Als solcher hat er Scupolis Geistlichen Kampf oft und geradezu wärmstens empfohlen. Diese Wertschätzung soll an einigen ausgewählten Beispielen dokumentiert werden.

Bekanntlich verband den hl. Franz von Sales mit der hl. Johanna Franziska von Chantal eine tiefe geistliche Freundschaft. Mit ihr zusammen gründete er 1610 den Orden von der Heimsuchung Maria (Salesianerinnen). Im April 1606 schrieb er an Frau von Chantal über die Vorzüge des Geistlichen Kampfes: „Das Buch über die 'Methode, Gott zu dienen' ist gut, aber verworren und schwierig, mehr als Ihnen zuträglich ist. Das Buch über den Geistlichen Kampf enthält alles, was es sagt, jedoch viel klarer und methodischer." Die junge Witwe hatte 1601 ihren Mann bei einem tragischen Jagdunglück verloren und war noch weit entfernt, in den Ordensstand einzutreten. Der hl. Franz von Sales verhalf ihr nun zu einem gottergebenen Leben - und wußte keinen besseren Buchtipp als den Geistlichen Kampf.

Auch später kam er mehrmals in seinen Briefen an Frau von Chantal auf Scupolis Abhandlung zu sprechen. In einem ergreifenden Brief über den Tod seiner eigenen Schwester, die mit 14 Jahren verstorben war, beschwor er die Adressatin, alles in großer Geduld der Vorsehung Gottes zu überlassen. Als probates Mittel dazu kam ihm wiederum Scupolis Werk in den Sinn: „Wir wollen aber jede Woche einmal eine besondere Übung machen, den Willen Gottes noch kraftvoller, ja ich gehe noch weiter, zärtlicher und liebevoller wie nichts sonst in der Welt zu wollen und zu lieben; und das nicht nur bei erträglichen Anlässen, sondern bei den unerträglichsten. Sie finden irgend etwas darüber in dem Buch vom Geistlichen Kampf, das ich Ihnen so oft empfohlen habe" (2. November 1607).

Was der Heilige empfiehlt, hat er natürlich zuvor selbst geprüft und angewandt. Wir müssen annehmen - nach allem, was darüber bekannt ist -, daß der Geistliche Kampf den hl. Franz von Sales auf seinem eigenen Weg zur Heiligkeit geprägt und geführt hat, wie sonst kaum ein Buch. In einem Brief vom 24. Juli 1607 an Johanna Franziska von Chantal findet sich dieses erstaunliche Bekenntnis: „Meine liebe Tochter, lesen Sie das 28. Kapitel des Geistlichen Kampfes, dieses mir so teuren Buches, das ich seit etwa 18 Jahren in meiner Tasche bei mir trage und niemals ohne Gewinn wieder lese. Halten Sie an dem fest, was ich Ihnen gesagt habe."

In einem Brief, den er ein paar Monate später (24. Januar 1608) an dieselbe Adressatin richtete, waren es in der Erinnerung des hl. Franz von Sales zwar nur noch 15 Jahre: „Ja, meine Tochter, der Geistliche Kampf 'ist ein großartiges Buch. Seit 15 Jahren trage ich es ständig in meiner Tasche mit mir herum und ich lese niemals darin, ohne daß ich Nutzen daraus ziehe." Doch einiges spricht für die Richtigkeit der ersten Zeitangabe. Denn 18 Jahre vor Abfassung dieser Briefe befand sich der Heilige in Padua, wo er von 1589-1591 an der dortigen Hochschule Rechtswissenschaften studierte, und es sei in Padua gewesen, so berichtet uns Jean-Pierre Camus, wo der hl. Franz von Sales den Geistlichen Kampf kennengelernt habe. Camus war Bischof von Belley, der Nachbardiözese von Genf, und Zeitgenosse, Freund und geistlicher Sohn des hl. Franz von Sales. Dieser habe ihm folgendes erzählt: „Als ich in Padua studierte, lehrte mich ein Theatiner das Buch kennen und empfahl es mir zum Gebrauche; ich habe seinen Rat befolgt und mich wohl dabei befunden. Es ist von einem heiligmäßigen Ordensmann dieser berühmten Kongregation verfaßt, der seinen Namen nicht bekannt machte, sondern das Buch mit bloßer Angabe seines Instituts veröffentlichte."

Ob es im Jahre 1608 nun 15 oder gar 18 Jahre waren, seit der Heilige den Geistlichen Kampf in seiner Tasche trug - so oder so spricht die Tatsache für sich. Nicht jedermanns Taschen sind schließlich groß genug, um gute Bücher zu fassen. Und unter den zahlreichen geistlichen Werken schien es unserem Heiligen ausgerechnet Scupolis Abhandlung wert zu sein, daß er sie jahrzehntelang in der Tasche trug -und unentwegt in ihr las. Sein erster Biograph L. de la Riviere berichtet von dem Vorsatz des hl. Franz von Sales, einmal pro Monat den Geistlichen Kampf ganz durchzulesen, und da die (zweite) Ausgabe von 1589, die er besaß, erst 33 Kapitel enthielt, ergab dies pro Tag etwa ein Kapitel. Camus seinerseits bestätigt, der Bischof von Genf habe fast täglich ein Kapitel daraus gelesen.

Welch herausragende Bedeutung Scupolis Büchlein im Leben des Heiligen spielte, belegt auch folgendes Zeugnis. Camus fragte einmal seinen Mitbischof, wer denn eigentlich sein Seelenführer sei. Da zog der hl. Franz von Sales den Geistlichen Kampf aus der Tasche und sagte: „Dieser ist's, der mich seit meiner Jugend, nebst Gott, in den Übungen des inneren Lebens unterwiesen und belehrt hat." Offensichtlich geschah es also aus tiefer Überzeugung und eigener jahrelanger Erprobung, wenn der Heilige seinen Beichtkindern (sowohl den gottgeweihten als auch den eifrigen Christen in der Welt) den Geistlichen Kampf unablässig empfahl. Zum Beispiel Madame Brulart (2. November 1607): „Die 'Methode', die 'Vollkommenheit' und die 'Perle' sind reichlich dunkle Bücher, die auf dem Gebirgsgrat dahingehen; man soll kaum bei ihnen verweilen. Lesen Sie immer wieder den Geistlichen Kampf, das soll Ihr Lieblingsbuch sein, es ist klar und ganz durchführbar." Gut vier Jahre später (11. Februar 1612) weiß der hl. Franz von Sales noch immer keinen besseren Rat: „Lesen Sie wieder den Geistlichen Kampf und richten Sie Ihr besonderes Augenmerk auf die darin enthaltenen Dokumente, es wird Ihnen sehr von Nutzen sein."

Dieser Rat des weisen Seelenführers möge auch dem Leser der vorliegenden Neuausgabe zu Herzen gehen.