14.01.2018

2. Sonntag 1987

„Seht das Lamm Gotte, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“

In irgendeinem Taufregister einer Pfarrei steht diese Begebenheit:

Zur Kindstaufe waren sie geladen, die Verwandten und Bekannten. In Ermangelung größeren Komforts legte man die Mäntel — es war ein kalter Winter — in der Ecke eines Zimmers nieder.

Man aß und trank und ließ es sich Wohlergehen und erst als die Zeit des Aufbruches kam, gedachte man des Täuflings.

Und man fand ihn schließlich unter dem Berg Wintersachen, unter denen er begraben lag.

Vielleicht sagen viele: Das kann nur ein Märchen sein. Doch ist dieses „Märchen“ nicht gerade in diesen Weihnachtstagen für ach so viele bittere Wirklichkeit geworden.

Man hat in dieser freien Zeit den Tisch besonders reich gedeckt, hat Geschenke ausgeteilt und auch empfangen. Es waren frohe Tage der Erholung.

Man hat einen Geburtstag gefeiert. ohne an den zu denken, dessen Geburt gedacht wurde, die Geburt Jesu Christi.

Wer ist Jesus Christus?

Um diese Frage geht es auch im heutigen Evangelium. Da begegnet uns ein Mann, der berufen wurde, diesem Jesus die Wege zu den Herzen der Menschen zu ebnen, Johannes der Täufer. Er sagt: „Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen.“ Er hörte Gott: „Auf den du den Geist herabkommen siehst, der ist es.“

Jesus ist einer, den wir Gottessohn nennen, denn Gott ist sein Vater von Ewigkeit her. Jesus ist aber auch einer, den wir Menschensohn nennen, denn Maria ist seine Mutter in der Zeit.

So teilt er das Leben mit uns Erdgeborenen — und hat seine Heimat bei seinem Vater im Himmel.

Er übersteigt den Horizont unseres Verstandes — und übt doch eine einmalige Faszination aus über jeden Menschen.

Er ist ohne Sünde — so kann er fragen: „Wer von euch kann mich einer Sünde zeihen“ —, sodaß ihn das Gesetz des Todes nicht treffen kann. Dennoch stirbt er, weil er die Schuldenlast der Menschheit auf seine Schultern nimmt.

Er ist der einzig geliebte Sohn seines Vaters — und wird von den Dienern des Gesetzes Gottes in den Tod getrieben. Er hält ein strenges Gericht über den Adel des Volkes — und er setzt sich an einen Tisch mit den Sündern und Zöllnern, um mit ihnen zu essen. So lehrt es uns die Mutter Kirche im Glaubensbekenntnis.

Und welche Aussage macht dieser Johannes im heutigen Evangelium? Es sind zwei Bilder, unter denen er uns Christus vorstellt. Da heißt es:

„Er sah Jesus auf sich zukommen und sagte: 'Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt’“ ...

und „ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.“

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit die Welt nicht gerichtet, sondern gerettet werde.“

Das Wort Lamm erinnert uns an den Karfreitag, den dunklen Tag, da Christus unter der Last der Menschheitsschuld das Kreuz bestieg, wo er „den wider uns lautenden Schuldschein an die Balken des Kreuzes heftete, und so eine vollgültige Erlösung erbrachte“, sagt der Apostel Paulus.

Gewiß geht diese Opfertat Christi, sich Als. Lamm hinzugeben, über unser Denkvermögen hinaus, jedoch sagt Gustave Martelen: „Die höchste Macht Gottes ist, dass er lieben kann, und keine Liebe weigert sich, für den Geliebten zu leiden. ... Deshalb ist das Wappentier Gottes schon vor Grundlegung der Welt nichts weiter als ein verwundetes Lamm. Das Lamm zeigt an, dass Gott, der Schöpfer, damit einverstanden ist, das erste Opfer seiner Schöpfung zu werden, und dass Er es uns eigenwilligen Narren nie übelnehmen wird, ihn diesen Weg einschlagen zu lassen, um uns sein Wesen zu offenbaren. Bevor er uns auf schwarz und weiß die Liebe nachweist, zeigt er als erster im erwählten Lamm den Liebesabgrund, in den hinein er sich schaffend einläßt. „

Das Wort Taube erinnert uns an Ostern, den hellen Tag, da Christus wieder zurückkehrte in das Leben, das er von Ewigkeit her mit dem Vater in der Herrlichkeit des Himmels hatte.

Auf die Licht-, Lebens- und Liebesfülle weist hin die Taube in ihrer Reinheit und den Friedenszweig im Schnabel schwebend über dem Chaos der Sintflut.

Ja, nun wissen wir: unser Leben hat Aussicht, unser Leben hat Zukunft; denn „Er ist der Sohn Gottes“ — und wir sind seine Brüder und Schwestern.