04.04.2016

DIE VERKÜNDIGUNG

nach Maria Valtorta

Ich sehe folgendes: Maria als junges Mädchen, nach ihrem Aussehen zu schließen, höchstens fünfzehn Jahre alt, in einer kleinen rechteckigen Kammer, einem richtigen Jungmädchenzimmer.

Angelehnt an eine der beiden längeren Seiten befindet sich eine Bettstatt: ein niedriges Bettgestell ohne Rand, bedeckt mit dicken Matten oder Teppichen. Man könnte meinen, sie seien über einem Brett ausgebreitet oder über ein Schilfrohrgeflecht. Denn sie liegen sehr flach und ohne Wölbung wie bei unseren Betten.

An der anderen Längsseite steht ein Regal mit einer Öllampe, Pergamentrollen und einer mit Sorgfalt zusammengelegten Näharbeit.

Seitlich davon, gegen die Tür hin, die geöffnet ist und in den Garten führt, aber von einem vom Winde bewegten Vorhang verhängt ist, sitzt auf einem Schemel die Jungfrau.

Sie spinnt weißen seidenweichen Flachs. Ihre kleinen Hände, nur um ein wenig blasser als der Flachs, drehen flink die Spindel. Das jugendliche Gesichtchen ist wunderschön, leicht geneigt und lächelt, als ob sie einen lieblichen Gedanken hege oder verfolge.

Es ist still im Häuschen und im Garten. Es liegt tiefer Friede sowohl auf dem Antlitz Marias als auch auf ihrer Umgebung. Friede und Ordnung. Alles ist sauber und wohlgeordnet, und der Wohnraum ist bescheiden im Aussehen und in der Einrichtung, fast kahl wie in eine Zelle, hat aber etwas Strenges und Königliches an sich wegen der großen strahlenden Reinheit und der Sorgfalt, mit der die Stoffe des Ruhelagers angeordnet sind, die Buchrollen, die Lampe, der kleine Krug aus Bronze mit einem Strauß blühender Zweige, Zweige eines Pfirsich- oder Birnbaums, ich weiß es nicht, aber sicher von einem Fruchtbaum mit weißlichen, ins Rötliche übergehenden Blütenblättern.

Maria beginnt leise zu singen und erhebt dann leicht die Stimme.

Sie geht nicht zu lautem Gesang über. Aber es ist schon eine Stimme, die in der Kammer vibriert und ein Schwingen der Seele wiedergibt. Ich verstehe die Worte nicht, die sicher hebräisch sind.

Aber da das Wort Jehova oft wiederkehrt, nehme ich an, dass es irgendein heiliges Lied ist, vielleicht ein Psalm. Vielleicht erinnert sich Maria an die Gesänge im Tempel. Es muss eine liebliche Erinnerung sein, denn sie legt nun ihre Hände, die noch Spindel und Faden halten, in den Schoß, erhebt das Haupt, und lehnt es rückwärts an die Wand. Während ein sanftes Rot ihr Gesicht färbt, verliert sich der Blick in irgendeinem lieblichen Gedanken; Tränen leuchten auf, ihre Augen jedoch laufen nicht über, sondern werden nur größer. Zugleich strahlen diese Augen und lächeln einem Gedanken zu, den sie wahrnehmen und der sie ablenkt von allem Sichtbaren. Das Antlitz Marias, dass aus dem weißen, höchst einfachen Kleid rosenrot hervorwächst und umrahmt wird von Zöpfen, die sie wie eine Krone um das Haupt gewunden hat, gleicht einer prächtigen Blume.

Der Gesang verwandelt sich in Gebet: »Höchster Herr und Gott, zögere nicht weiterhin, deinen Diener zu senden, damit er den Frieden auf Erden bringe! Erwecke die Zeit der Gnade und die Jungfrau, fruchtbar und rein für die Ankunft deines Gesalbten! Vater, heiliger Vater, erlaube deiner Magd, ihr Leben für diesen Zweck zu opfern!

Gestatte mir, erst dann zu sterben, wenn ich dein Licht und deine Gerechtigkeit auf Erden gesehen und erkannt habe, dass die Erlösung sich vollzogen hat! O heiliger Vater, sende der Erde die Sehnsucht der Propheten! Sende deiner Magd den Erlöser! Möge in der Stunde, in der mein Tag sich dem Ende zuneigt, für mich deine Wohnstätte sich öffnen, wenn ihre Tore schon geöffnet worden sind von deinem Gesalbten für alle, die auf dich gehofft haben! Komm, komm, o Geist des Herrn! Komm zu deinen Gläubigen, die auf dich warten! Komm, du Friedensfürst! . . . «

Maria bleibt in diesem Verlangen versunken.

Der Vorhang flattert stärker, wie wenn ihn jemand, der dahinter steht, rüttelte, um ihn zur Seite zu schieben.

Und sieh da: ein Licht, weiß wie mit Silber vermischter Perlenglanz, erleuchtet die leicht gelblichen Wände, belebt die farbigen Stoffe, vergeistigt das erhabene Gesicht Marias. In diesem Licht, und ohne dass der Vorhang zurückgezogen wird vor dem Geheimnis, dass sich nun vollzieht – im Gegenteil, schon rührt er sich nicht mehr und hängt vielmehr steif an den Türpfosten herab, als wäre er eine Wand, die das Innere vom Äußeren trennt – verneigt sich tief der Erzengel.

Er muss notgedrungen das Aussehen einer menschlichen Gestalt annehmen; aber es ist dennoch ein überirdisches. Aus welchem Fleisch ist diese herrliche, leuchtende Gestalt wohl gebildet? Aus welcher Substanz hat Gott sie materiell gestaltet, um sie den Sinnen der Jungfrau sichtbar zu machen? Nur Gott ist der Herr dieses Stoffes und kann ihn in solch vollkommener Weise benützen.

Da sind ein Gesicht, ein Körper, Augen, Mund, Haare und Hände wie bei uns. Aber es handelt sich nicht um unsere undurchsichtige Materie. Es ist ein Licht, dass die Farbe des Fleisches, der Augen, der Haare und der Lippen angenommen hat; ein Licht, dass sich bewegt und lächelt, dass schaut und spricht.

»Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade!«

Die Stimme klingt wie ein lieblicher Akkord, wie Perlen, die auf kostbares Metall geworfen werden.

Maria fährt zusammen und schlägt die Augen nieder. Noch mehr erschrickt sie, als sie dieses leuchtende Wesen in etwa einem Meter Entfernung auf den Knien sieht, die Hände über der Brust gekreuzt und in den Augen den Ausdruck unendlicher Ehrfurcht.

Maria steht auf, schmiegt sich an die Wand und wird abwechselnd bleich und rot. Ihr Antlitz verrät Schrecken und Bestürzung. Unbewußt preßt sie die Hände auf die Brust und verbirgt sie unter den weiten Ärmeln; sie beugt sich fast vor, als wolle sie ihren Körper so weit wie möglich verbergen. Ein Ausdruck lieblicher Schamhaftigkeit.

»Nein, fürchte dich nicht! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.«

Aber Maria fürchtet sich immer noch. Woher ist dieses außergewöhnliche Wesen gekommen? Ist es ein Abgesandter Gottes oder einer des Verführers?

»Nein, fürchte dich nicht, Maria!« wiederholt der Erzengel. »Ich bin Gabriel, der Engel Gottes; mein Herr hat mich zu dir gesandt.

Fürchte dich nicht, denn du hast Gnade gefunden bei Gott! Und jetzt wirst du in deinem Schoß empfangen; du wirst einen Sohn gebären und sollst ihm den Namen Jesus geben; dieser wird groß sein und wird der Sohn des Allerhöchsten genannt werden. (Und er wird es wirklich sein.) Und Gott, der Herr, wird ihm den Thron Davids, seines Vaters, geben, und er wird in Ewigkeit herrschen über das Haus Jakobs, und seines Reiches wird kein Ende sein. Begreife, o heilige Jungfrau, Geliebte des Herrn, seine gesegnete Tochter, berufen, die Mutter seines Sohnes zu werden, den du gebären wirst!«

»Wie kann das geschehen, wenn ich keinen Mann anerkenne? Vielleicht will der Herrgott das Opfer seiner Magd nicht annehmen und will nicht, dass ich Jungfrau bleibe aus Liebe zu ihm?«

»Nicht vermittels eines Mannes wirst du Mutter sein, Maria; du bist die ewige Jungfrau, die Heilige Gottes. Der Heilige Geist wird sich in dich hinabsenken, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. Daher wird heilig genannt werden, der aus dir geboren wird und Sohn Gottes ist. Alles vermag der Herr, unser Gott.

Elisabet, die Unfruchtbare, hat in ihrem Alter einen Sohn empfangen, welcher der Prophet deines Sohnes sein wird, um seine Wege zu bereiten. Der Herr hat von ihr die Schmach genommen, und ihr Andenken wird unter den Völkern bleiben und verbunden sein mit deinem Namen, wie der Name ihres Kindes mit dem deines Heiligen, und bis zum Ende der Jahrhunderte werden die Völker euch glücklich preisen wegen der Gnade des Herrn, die über euch kam und besonders über dich. Elisabet ist nun im sechsten Monat und ihre Last wird ihr zur Freude, und diese wird noch größer werden, wenn sie von deiner Freude erfährt. Bei Gott ist nichts unmöglich, Maria, du Gnadenvolle. Was soll ich meinem Herrn sagen? Laß dich in keiner Weise verwirren! Er wird sich um dich sorgen, wenn du dich ihm anvertraust. Die Welt, der Himmel und der Ewige warten auf dein Wort.«

Nun kreuzt Maria ihrerseits die Hände über der Brust, verbeugt sich tief und spricht: »Siehe die Magd Gottes! Es geschehe mir nach seinem Worte!«

Der Engel erstrahlt voller Freude. Er betet an, denn sicherlich sieht er den Geist Gottes sich niederlassen über der Jungfrau, die sich in Ergebung beugt; dann verschwindet er, ohne den Vorhang zu bewegen, den er über das heilige Geheimnis gebreitet läßt.

DER UNGEHORSAM DER ALTEN EVA

Jesus spricht:

»Oh, ihr Christen des 20. Jahrhunderts, die ihr die Berichte über meine Märtyrer als Fabeln verachtet und euch sagt: „Das kann nicht wahr sein! Wie könnte es so sein? Schließlich waren auch sie Männer und Frauen. Das sind Legenden. „Wisset, dass es keine Legenden sind, sondern Geschichte ist. Und wenn ihr an die bürgerlichen Tugenden der alten Athener, Spartaner und Römer glaubt und euch begeistern laßt vom Heroismus und der Größe der irdischen Helden, warum wollt ihr dann nicht an die übernatürlichen Tugenden glauben und fühlt euren Geist nicht angesprochen und angespornt zu hochherziger Nachahmung durch die Berichte über den Großmut und die großen Taten meiner Helden?

„Schließlich“, sagt ihr, „waren es Männer und Frauen“.

Gewiß, es waren Männer und Frauen. Ihr sprecht damit eine große Wahrheit aus und zugleich eure eigene Verurteilung. Es waren Männer und Frauen, und ihr seid wie unvernünftige Tiere, degradiert von der Ebenbildlichkeit Gottes, von der Sohnschaft Gottes auf das Niveau der Tiere, die sich nur vom tierischen Instinkt leiten lassen und von einer Verwandtschaft mit Satan. Es waren Männer und Frauen. Sie wurden wieder „Männer und Frauen“ durch die Gnade, so wie es der erste Mann und die erste Frau im Paradiese waren . . .

Steht in der Genesis nicht geschrieben, dass Gott den Menschen zum Herrscher über alle Dinge auf Erden gemacht hat, über alles, was unter Gott und seinen Dienern, den Engeln, steht? [Gen 1,26–28].

Liest man dort nicht, dass er die Frau bildete, damit sie Gefährtin des Mannes sei in der Freude und der Herrschaft über alles Lebende?

Liest man dort nicht, dass sie von allem essen durften, mit Ausnahme des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen? [Gen 2,16–17].

Warum wohl? Welchen Sinn haben die Worte: „Auf dass er über sie herrsche!“ Welche Bewandtnis hat es mit dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen? Habt ihr, die ihr euch so viele unnütze Fragen stellt, noch nie eure eigene Seele darüber befragt? Warum seid ihr nicht imstande, eure Seele über die himmlischen Wahrheiten zu befragen?

Wäre eure Seele nicht tot, so würde sie euch sagen, ob sie in der Gnade ist. Und wenn sie in der Gnade ist, dann ist sie wie eine Blume in den Händen eures Schutzengels – wie eine von der Sonne geküßte Blume, benetzt vom Tau des Heiligen Geistes, der sie erwärmt und erleuchtet und sie mit himmlischem Licht erfüllt und ziert . . . Wie viele Wahrheiten würdet ihr von eurer Seele erfahren, wenn ihr euch mit ihr zu unterhalten wüßtet; wenn ihr sie lieben würdet, weil sie euch zum Ebenbild Gottes macht, der reiner Geist ist, wie auch eure Seele Geist ist.

Welch große Freundin hättet ihr in eurer eigenen Seele, wenn ihr sie liebtet, statt sie tödlich zu hassen – welch große, herrliche Freundin, mit der ihr euch über den Himmel unterhalten könntet; ihr, die ihr so redselig seid und euch mit euren Freundschaften gegenseitig zugrunderichtet . . . mit Freundschaften, die, wenn sie nicht gerade unwürdig sind (manchmal sind sie es), doch fast immer zwecklos sind, und die sich nur auf eitles und schädliches Geschwätz über irdische Dinge beschränken.

Habe ich nicht gesagt: „Wer mich liebt, hört auf mein Wort, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen, Wohnung bei ihm zu nehmen?“

Die Seele in der Gnade besitzt die Liebe, und wenn sie die Liebe hat, besitzt sie Gott, den Vater, der die Seele erhält, den Sohn, der die Seele lehrt, und den Heiligen Geist, der die Seele erleuchtet . . . Die Seele besitzt somit die Erkenntnis, die Wissenschaft und die Weisheit. Sie besitzt das Licht. Bedenkt also, welche erhabenen Gespräche eure Seele mit euch führen könnte: Gespräche, wie sie das Schweigen der Zellen und der Einsiedeleien, dass Schweigen der Kammern heiliger Dulder belebt haben; Gespräche, die eingekerkerte Märtyrer in der Erwartung des Martyriums trösteten; die Mönche auf der Suche nach der Wahrheit erleuchteten; die Kranke zur Geduld im Leiden und selbst zur Kreuzesliebe führten.

Wenn ihr eure Seele zu fragen wüßtet, so würde sie euch sagen, dass der wahre, getreue und umfassende Sinn des Wortes: „Herrschen soll er“, dieser ist: „Der Mensch soll über alles herrschen. Über seine drei Bereiche: über den niederen, den tierischen, über den mittleren, den moralischen, und über den höheren, den geistigen. Alle drei soll er hinrichten auf das einzige Ziel: Gott zu besitzen!“ Und diesen Besitz verdient er durch die eiserne Zucht, mit der er alle Kräfte des eigenen Ich unterworfen hält und sie in den Dienst dieses einzigen Zieles stellt: verdienen, Gott zu besitzen.

Sie würde euch sagen, dass Gott die Erkenntnis des Guten und des Bösen verboten hat, weil er den Geschöpfen das Gute umsonst gegeben hat; und das Böse solltet ihr nicht kennen, weil es für den Gaumen zwar eine süße Frucht ist, aber im Blut ein tödliches Fieber erweckt und einen brennenden Durst entfesselt, der um so größer wird, je mehr man davon genießt.

Ihr werdet entgegenhalten: „Weshalb hat er es so gemacht?“ Weshalb?

Weil das Böse eine Kraft ist, die von selbst auftaucht, wie gewisse gefährliche Krankheiten sich auch im gesündesten Körper bilden.

Luzifer war ein Engel, der schönste unter den Engeln, vollkommener Geist und nur Gott unterlegen. In seinem lichtvollen Sein aber entstand der Rauch des Hochmuts, den er nicht verflüchtigte; den er vielmehr pflegte und nährte. Aus dieser Brut ist das Böse hervorgegangen.

Es war schon, bevor es den Menschen gab. Gott hatte ihn aus dem Paradies verstoßen, den verfluchten Brüter des Bösen, den Beflecker des Paradieses. Aber er ist der ewige Brüter des Bösen geblieben, und da er das Paradies nicht mehr beschmutzen konnte, hat er die Erde beschmutzt.

Jener metaphorische Baum steht da, um die Wahrheit klar zu bezeugen.

Gott hatte zu Mann und Frau gesagt: „Ihr kennt alle Gesetze und Geheimnisse der Schöpfung. Aber macht mir nicht das Recht streitig, Schöpfer des Menschen zu sein! Um das Menschengeschlecht fortzupflanzen, genügt meine Liebe, die in euch lebt. Ohne sinnliche Begier und vielmehr einzig durch den Herzschlag der Liebe wird sie neue Adame des Menschengeschlechts zum Leben erwecken.

Alles gebe ich euch. Nur dieses Geheimnis der Erschaffung des Menschen behalte ich mir vor.“

Satan wollte dem Menschen diese Jungfräulichkeit des Verstandes rauben und hat mit seiner Schlangenzunge liebkosend die Glieder und die Augen Evas umschmeichelt, indem er in ihr Gedanken und Empfindungen erweckte, die sie vorher nicht kannte, weil die Bosheit sie noch nicht vergiftet hatte.

„Sie sah“, und da sie sah, wollte sie versuchen. Das Fleisch war erweckt worden. Oh! Wenn sie doch Gott angerufen hätte! Wenn sie hingeeilt wäre, um zu sagen: „Vater, ich bin krank. Die Schlange hat mir geschmeichelt, und ich bin verwirrt.“ Der Vater hätte sie gereinigt und geheilt mit seinem Hauch; wie er ihr das Leben eingegossen hatte, so konnte er ihr auch erneut die Reinheit einflößen und sie das Gift der Schlange vergessen lassen; ja ihr einen Widerwillen gegen die Schlange einflößen, ähnlich der instinktiven Abscheu, die diejenigen, die von einer Krankheit befallen und geheilt worden sind, gegen dasselbe Übel empfinden. Aber Eva geht nicht zum Vater.

Eva kehrt zur Schlange zurück. Die Empfindung gefällt ihr. „Da sie sah, dass die Frucht des Baumes gut zum Essen war und dem Auge schön und angenehm erschien, nahm sie dieselbe und aß davon.“

Und „Sie verstand“. Nun war die Bosheit in ihren Eingeweiden, um ihren Biß anzubringen. Eva sah mit neuen Augen und hörte mit neuen Ohren die Gewohnheiten und die Stimmen der Tiere; sie begehrte mit maßloser Begierde. Sie hat allein mit der Sünde begonnen.

Sie vollendete sie mit ihrem Gefährten. Deshalb lastet auf der Frau die größere Schuld.

Ihretwegen ist der Mann zum Rebellen gegen Gott geworden und hat Unzucht und Tod kennengelernt. Ihretwegen hat er die drei Reiche nicht mehr zu beherrschen gewußt: das des Geistes, weil er zuließ, dass der Geist sich gegen Gott empörte; das des sittlichen Verhaltens, weil er gestattete, dass die Leidenschaften ihn beherrschten; das des Fleisches, weil er es zu den instinktiven Gesetzen der unvernünftigen Tiere erniedrigte. „Die Schlange hat mich verführt“, sagt Eva. „Die Frau hat mir die Frucht angeboten, und ich habe davon gegessen“, sagt Adam [Gen 3,12–13]. Seitdem hat die Begierde die drei Bereiche des menschlichen Daseins umklammert.

Nur die Gnade vermag die Umklammerung dieses Ungeheuers zu lockern. Und wenn sie lebendig ist, sehr lebendig, und immer wieder belebt wird vom Willen des getreuen Sohnes, so vermag er dieses Ungeheuer schließlich zu erwürgen, so dass er nichts mehr von ihm zu befürchten hat: weder von den Tyrannen des inneren Lebens, d. h. vom Fleisch und von seinen Leidenschaften, noch von den äußeren Tyrannen, den Mächtigen der Welt; noch von den Verfolgungen und auch nicht vom Tod. Wie der Apostel Paulus sagt [Apg 20,24]: „All dieses fürchte ich nicht. Auch mein Leben sehe ich für ganz wertlos an, wenn ich nur die Aufgabe erfülle, die ich vom Herrn Jesus Christus erhalten habe, nämlich Zeuge der Frohbotschaft von der Gnade Gottes zu sein.“

Meine Märtyrer haben daran festgehalten, ihre Aufgabe und den von mir aufgetragenen Dienst zu erfüllen: die Welt zu heiligen und Zeugnis von der Frohen Botschaft abzulegen. Mit nichts anderem haben sie sich befaßt. Sie haben die in ihnen lebendige Gnade mit Sorgfalt gehütet, mehr als ihren Augapfel, und das eigene Leben in freudiger Bereitschaft hingegeben, im bewusstsein, Vergängliches zu opfern, um Unvergängliches zu erwerben. Darum wurden sie wiederum zu „Männern und Frauen“ und blieben nicht unvernünftige Tiere. Und als Männer und Frauen lebten sie und handelten auch als Kinder des himmlischen Vaters. Wie der heilige Paulus sagt [Apg 20,33], haben sie „nicht Silber und Gold oder Kleider von irgend jemandem begehrt, sondern sich vielmehr berauben lassen und freiwillig allen Reichtum und selbst das Leben hingegeben“, um mir nachzufolgen auf Erden und im Himmel.

Mit ihren Händen, wie der Apostel wiederum sagt [Apg 20,34], haben sie für ihre eigenen und für die Bedürfnisse anderer gesorgt, haben das Leben hingegeben und andere zum Leben geführt. Durch ihrer Hände Arbeit sind sie den Kranken zur Hilfe gekommen, die an der schrecklichsten Krankheit litten, die in einem Leben fern vom wahren Glauben besteht, und haben sich selbst ganz zu diesem Zweck verausgabt: Anhänglichkeiten, Blut, Leben, Mühe, alles haben sie hingegeben in Erinnerung an die Worte [Apg 20,35], die ich dir vor drei Tagen sagte: „Geben ist empfangen, geben ist besser als empfangen.“«

DIE NEUE EVA WAR IN JEDER BEZIEHUNG GEHORSAM

Maria sagt:

»Als ich die Aufgabe verstand, zu der Gott mich berufen hatte, war ich von Freude erfüllt. Mein Herz öffnete sich wie eine verschlossene Lilie, und aus ihm ergoß sich das Blut, dass den Grund und Boden für den Keim des Herrn bildete.

Welch eine Freude, Mutter zu sein!

Ich hatte mich seit frühester Jugend Gott geweiht, denn das Licht des Allerhöchsten hatte mich erleuchtet über den Ursprung des Bösen in der Welt. Daher wollte ich, sofern dies in meiner Macht lag, in mir die Spur Satans auslöschen. Ich wußte nicht, dass ich ohne Makel war. Ich konnte nicht auf den Gedanken kommen, es zu sein.

Allein schon der Gedanke daran wäre Anmaßung und Hochmut gewesen; denn, da ich von menschlichen Eltern geboren war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass gerade ich die Auserwählte, die „Makellose“

sein sollte. Der Geist Gottes hatte mich unterrichtet vom Schmerz Gottvaters über die Verdorbenheit Evas, die sich, obwohl Geschöpf der Gnade, auf das Niveau eines niedrigeren Wesens erniedrigte.

Ich hatte die Absicht, diesen Schmerz zu lindern, indem ich mein Fleisch zu engelhafter Reinheit zurückführte und mich unberührt bewahrte vor Gedanken, Wünschen und menschlichen Beziehungen.

Nur ihm sollte der Pulsschlag meiner Liebe gelten, nur ihm mein ganzes Wesen angehören. Wenn auch in mir keine Fleischeslust brannte, so war es doch ein Opfer für mich, nicht Mutter zu werden.

Auch Eva hatte der Schöpfervater eine Mutterschaft zugedacht, frei von all dem, was sie heute erniedrigt; eine süße, reine Mutterschaft, ohne die Last des Sinnlichen. Ich habe sie erfahren. Wieviel hat Eva verloren durch den Verzicht auf diesen Reichtum! Es war mehr als der Verzicht auf die Unsterblichkeit. Das soll dir nicht als eine Übertreibung erscheinen. Mein Jesus, und mit ihm ich selbst, seine Mutter: wir haben die Todesnot kennengelernt. Ich die sanfte Mattigkeit der müde Einschlafenden, er die bittere Todesnot nach seiner Verurteilung. Auch an uns ist der Tod herangetreten. Aber die Mutterschaft ohne jegliche Entweihung ist mir, der neuen Eva, allein zuteil geworden, damit ich der Welt sagen konnte, welch süße Freude das Los der Frau gewesen ist, die ohne die Schmerzen des Fleisches Mutter wurde. Das Verlangen nach dieser reinen Mutterschaft durfte auch in der ganz gotthingegebenen Jungfrau bestehen, denn sie ist der Ruhm der Frau.

Wenn ihr nun bedenkt, in welch hohen Ehren die Frau als Mutter bei den Israeliten stand, dann werdet ihr noch besser verstehen, welch ein Opfer ich bringen musste, als ich diesen Verzicht auf mich nahm. Nun hat die ewige Güte mir dieses Geschenk gegeben, ohne mir den Glanz zu nehmen, mit dem ich bekleidet war, um Blume an seinem Thron zu sein. Darum jubiliere ich in doppelter Freude, Mutter eines Menschen und Mutter eines Gottes zu sein.

Welch eine Freude, dass durch mich der Friede zwischen Himmel und Erde wiederhergestellt wurde.

Oh! Stets hatte ich diesen Frieden aus Liebe zu Gott und dem Nächsten ersehnt, und nun durfte ich wissen, dass er durch mich selbst, der armen Magd des Allmächtigen, der Welt geschenkt wurde!

Nun konnte ich sagen: „Oh, ihr Menschen, weint nicht mehr! Ich trage in mir das Geheimnis, dass euch glücklich machen wird. Ich kann es euch nicht sagen, denn es ist in mir versiegelt, in meinem Herzen, so wie der Sohn im unversehrten Schoß eingeschlossen ist.

Aber schon bringe ich ihn unter euch, und nach jeder verflossenen Stunde ist der Augenblick näher, da ihr ihn sehen und seinen Namen kennenlernen werdet.“

Welch eine Freude, Gott glücklich gemacht zu haben: die Freude der Glaubenden an ihrem glücklichgemachten Gott! . . .

Oh! Vom Herzen Gottes die Bitterkeit über den Ungehorsam Evas genommen zu haben! Die Bitterkeit über ihren Hochmut und ihren Unglauben! Mein Jesus hat mir erklärt, mit welcher Schuld sich das erste Elternpaar befleckte. Ich habe diese Schuld getilgt, indem ich die Stufen ihres Abstieges wieder hinaufstieg.

Der erste Schritt zur Schuld war der Ungehorsam: „Eßt nicht und berührt nichts von diesem Baum!“, hatte Gott gesagt. Und der Mann und die Frau, die Könige der Schöpfung, die alles berühren und genießen durften mit dieser Ausnahme, weil Gott wollte, dass lediglich die Engel über ihnen stehen – sie achteten nicht auf dieses Verbot.

Die Pflanze war das Mittel, den Gehorsam der Kinder zu prüfen.

Was ist der Gehorsam den göttlichen Gesetzen gegenüber? Etwas Gutes, denn Gott befiehlt nur das Gute. Was ist der Ungehorsam? Er ist böse, denn er versetzt den Geist in den Zustand der Auflehnung, in welchem Satan wirken kann.

Eva geht zur Pflanze, von der ihr Wohl abhängt: entweder sie geht ihr aus dem Weg oder sie handelt gegen die klare Vorschrift Gottes.

Sie läßt sich leiten von der kindlichen Neugierde, sie will sehen, was sie Besonderes auf sich habe; sie läßt sich leiten von ihrer Unklugheit, die ihr das Gebot Gottes unnötig erscheinen läßt, da sie ja stark und rein ist, die Königin des Eden, wo alles ihr gehorcht und ihr nichts Übles zustoßen kann. Ihre Überheblichkeit wird ihr zum Verderben.

Überheblichkeit ist schon Sauerteig des Hochmuts.

Bei der Pflanze findet sie den Verführer, der ihrer Unerfahrenheit, ihrer jungfräulichen, so wunderbaren Unerfahrenheit, dass Lied der Lüge singt. „Du glaubst, hier sei etwas Schlechtes? Nein! Gott hat dir das gesagt, weil er euch als Sklaven halten will. Glaubt ihr, Könige zu sein? Ihr seid nicht einmal so frei wie das wilde Tier. Ihm ist es erlaubt, sich in wahrer Liebe zu lieben. Euch nicht! Ihm wird es gewährt, Schöpfer zu sein wie Gott. Das Tier kann Junge zeugen und sieht seine Familie beliebig anwachsen. Ihr nicht! Euch wird diese Freude versagt. Wozu also hat er euch als Mann und Frau erschaffen, wenn ihr in dieser Weise leben müßt? Seid Götter! Ihr wißt nicht, welche Freude es ist, wenn zwei im Fleisch eins werden und dadurch einen Dritten zeugen! Glaubt den Versprechungen Gottes nicht; glaubt nicht, dass ihr das Glück der Nachkommenschaft haben werdet und sehen werdet, wie eure Kinder neue Familien gründen und Vater und Mutter um ihretwegen verlassen. Er hat euch nur ein Scheinleben gegeben: das wahre Leben besteht darin, die Gesetze des Lebens zu kennen; das macht euch zu Göttern, und ihr könnt zu Gott sagen: ‚Wir sind deinesgleichen‘.“

Und die Verführung geht weiter; denn es war kein Wille da, sie abzuweisen; vielmehr war der Wille da, ihr weiter zu folgen und das kennenzulernen, was der Mensch nicht wissen sollte. So wird der verbotene Baum für das Menschengeschlecht wirklich todbringend; denn an seinen Zweigen hängt die bittere Frucht des Wissens, dass von Satan kommt. Und die Frau wird zum Weib, und mit dem Sauerteig des satanischen Wissens im Herzen geht sie hin, um Adam zu verführen. So ward das Fleisch erniedrigt, der Charakter verdorben, der Geist entehrt. Sie lernten den Schmerz und den Tod des der Gnade beraubten Geistes kennen und den Tod des der Unsterblichkeit beraubten Fleisches. Und die Wunde Evas gebar das Leiden, und sie wird nicht heilen, bevor nicht das letzte Paar auf Erden gestorben ist.

Ich habe die Wege der beiden Sünder rückwärts durchlaufen: ich habe gehorcht, in jeder Beziehung gehorcht. Ich habe die Jungfräulichkeit geliebt, die mich gleichmachte der Reinheit der Stammutter, bevor sie Satan kannte. Gott verlangte von mir, Braut zu werden, ich habe gehorcht, indem ich die Ehe zu dem Grad der Reinheit erhob, den sie im Gedanken Gottes hatte, als er die Stammeltern schuf. Ich war überzeugt, zur Einsamkeit im Ehestand bestimmt zu sein und zur Verachtung durch die Menschen wegen meiner heiligen Kinderlosigkeit.

Da forderte Gott von mir, Mutter zu werden. Ich gehorchte.

Ich habe geglaubt, dass es möglich sei und dass dieses Wort von Gott komme, weil sich in mir Friede ausbreitete, als ich es hörte.

Ich habe nicht gedacht: „Das habe ich verdient.“ Ich habe mir nicht gesagt: „Jetzt wird die Welt mich bewundern, denn ich bin Gott ähnlich, weil ich das Fleisch Gottes gebären werde.“ Nein, ich habe mich selbst vernichtet in der Demut. Die Freude ist in meinem Herzen aufgeblüht wie ein blühender Rosenstock. Aber er zierte sich sofort mit spitzen Dornen und wurde eingezwängt in das Gewirr des Schmerzes, wie Zweige, die umringt sind von den Schlingen der Zaunwinde.

Schmerz über den Schmerz des Bräutigams: sieh, dass war die Bedrängnis in meiner Freude. Schmerz über die Schmerzen meines Sohnes: sieh, die Dornen meiner Freude. Eva wollte das Vergnügen, den Triumph, die Freiheit. Ich nahm den Schmerz, die Vernichtung, die Sklaverei an. Ich verzichtete auf ein stilles Leben, auf die Achtung von seiten meines Bräutigams, auf meine eigene Freiheit. Ich hielt nichts für mich zurück.

Ich wurde die Magd Gottes im Fleisch, im sittlichen Verhalten, im Geist, indem ich mich ihm nicht nur in der jungfräulichen Empfängnis anvertraute, sondern auch in der Verteidigung meiner Ehre, in der Tröstung meines Bräutigams und in der Suche nach einem Mittel, um auch ihn an der Heiligung der Ehe teilhaftig werden zu lassen und aus uns jene zu machen, die dem Mann und der Frau die verlorene Würde wiedergeben. Ich nahm den Willen des Herrn an für mich, für meinen Bräutigam und für mein Kind. Ich sagte ja für alle drei, sicher, dass Gott seine Versprechen nicht Lügen strafen würde: er hatte mir beigestanden in meinem Schmerz als Braut, die sich als schuldig verurteilt sah; in meinem Schmerz als Mutter, die sich erwählt wußte, einen Sohn zu gebären, um ihn den Schmerzen auszuliefern.

„Ja“, habe ich gesagt. Ja, und das genügte. Dieses Ja hat das Nein Evas gegenüber dem Gebot Gottes aufgehoben. Ja, Herr, wie du willst. Du wirst mir deinen Willen mitteilen. Ich werde leben, wie du willst. Ich werde mich freuen, wenn du es willst. Ich werde leiden, wofür du willst. Ja, immer ja, mein Herr, vom Augenblick an, in dem dein Strahl mich zur Mutter machte bis zu dem Augenblick, in dem du mich zu dir riefst. Ja, immer ja! Alle guten Eigenschaften des Fleisches, alle guten Sitten hatten in meinem „Ja“ ein unüberbietbares gutes Beispiel. Und darüber, wie auf einem Sockel aus Diamanten, erhebt sich mein Geist, dem zwar die Flügel fehlen, um zu dir zu fliegen, der aber der Herr seines ganzen Ichs und dein Knecht ist. Knecht in der Freude, Knecht im Schmerz. Aber lächle, o Gott!

Und sei glücklich! Die Schuld ist besiegt. Sie ist überwunden, sie ist zerstört. Sie liegt unter meiner Ferse, sie ist gewaschen mit meinen Tränen, zerstört von meinem Gehorsam. Aus meinem Schoß wird der neue Baum entspringen, der die Frucht trägt, die alles Böse kennenlernen wird, weil sie es selbst durchleiden muss, und alles Gute bringen wird. Zu ihr werden die Menschen kommen können, und ich werde glücklich sein, wenn sie sie pflücken, auch ohne daran zu denken, dass sie von mir geboren wurde. Wenn nur der Mensch gerettet und Gott geliebt wird! Es geschehe seiner Magd das, was mit der Scholle geschieht, aus der ein Baum wächst: eine Stufe, um aufzusteigen.«

Maria: »Man muss immer Stufe sein, um andere zu Gott emporsteigen zu lassen.

Wenn sie uns auch treten, es macht nichts. Wenn es ihnen nur gelingt, zum Kreuz zu gelangen. Es ist der neue Baum, der die Frucht der Erkenntnis des Guten und des Bösen trägt; denn es sagt dem Menschen, was böse ist und was gut ist, damit er wählen und leben kann, und lehrt ihn zu gleicher Zeit, aus sich einen Saft zu bilden, mit dem er alle die zu heilen vermag, die sich in der Berührung mit dem Bösen vergiftet haben.

Möge unser Herz unter die Füße der Menschen geraten, wenn nur die Zahl der Erlösten wächst und das Blut meines Jesu nicht vergeblich vergossen worden ist!

Das ist das Los der Magd Gottes. Aber dann dürfen wir im Kreis der Gläubigen die heilige Hostie empfangen und zu Füßen des Kreuzes, benetzt von seinem Blut und von unseren Tränen, sagen: „Sieh, o Vater, die unbefleckte Hostie, die wir dir aufopfern für das Heil der Welt. Blicke auf uns, o Vater, die wir verbunden sind mit ihm, und aufgrund seiner unendlichen Verdienste gib uns deinen Segen!“

Und ich liebkose dich. Ruhe dich aus! Der Herr ist mit dir!«

NOCH EIN WORT DER ERKLÄRUNG ÜBER DIE ERBSÜNDE

Jesus spricht:

»Das Wort meiner Mutter dürfte selbst in den kompliziertesten Köpfen alle Zweifel behoben haben.

Es sind ihrer so viele! Sie wollen über die göttlichen Dinge grübeln mit ihrem menschlichen Maßstab und setzen voraus, dass auch Gott wie sie denkt. Es ist indessen beruhigend zu wissen, dass Gott in einer unendlich erhabeneren und unbeschränkteren Weise vorgeht und denkt als der Mensch. Es wäre so schön und nützlich, wenn ihr euch bemühen würdet, nicht nach Menschenart zu denken und zu reden, sondern dem Geist nach, und wenn ihr Gott folgen würdet. Man soll sich nicht dort verankern, wo unser Denken sich festgefahren hat. Auch das ist Hochmut; denn es setzt die Vollkommenheit des menschlichen Geistes voraus, während es in ihm doch nichts Vollkommeneres gibt als den göttlichen Gedanken. Er kann, wenn er es will und es für gut hält, herabsteigen und Wort werden im Geist und auf den Lippen eines Geschöpfes, dass von der Welt verachtet wird, weil es in ihren Augen unwissend, dumm und kindisch ist.

Die Weisheit liebt es, den Hochmut des Geistes zu verwirren und sich gerade über die von der Welt Verworfenen auszugießen, die weder eine eigene Doktrin haben noch eine erworbene Lehrweisheit, die aber groß sind in der Liebe und in der Reinheit, groß in ihrem guten Willen, Gott zu dienen, Gott zu verkünden und mit allen ihren Kräften andere zu seiner Liebe zu führen. Habt acht, ihr Menschen! In Fatima, in Lourdes, in Guadalupe, in Caravaggio, auf la Salette: dort haben wahre und heilige Erscheinungen stattgefunden; die Seherinnen, die berufen waren, sie zu sehen, sind arme Geschöpfe, die wegen ihres Alters, ihrer Bildung und ihrer sozialen Stellung zu den Niedrigsten der Erde gehören. Diesen Unbekannten, diesen „Nichts“, offenbart sich die Gnade und macht sie zu ihren Herolden.

Was sollen die Menschen also tun? Sich demütigen wie der Zöllner und sagen: „Herr, ich bin zu sehr Sünder, als dass ich es verdiente, dich kennenzulernen. Sei gepriesen wegen deiner Güte, die mich tröstet durch diese Geschöpfe und mir ein himmlischer Anker, eine Führung, eine Unterweisung und das Heil sind.“ Sage nicht: „Aber nein, Aberglaube, Häresie! Das ist doch nicht möglich!“ Wie, nicht möglich? dass ein Armseliger ein Gelehrter der Gotteswissenschaft werde? Und warum sollte das nicht möglich sein? Habe ich nicht die Toten erweckt, die Irren und die Epileptiker geheilt? Habe ich nicht den Mund der Stummen, die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet? Gab ich nicht den Törichten den Verstand? Ebenso wie ich die Teufel austrieb, habe ich den Fischen befohlen, sich in die Netze zu werfen, den Broten, sich zu vervielfältigen, dem Wasser, Wein zu werden, dem Sturm, sich zu legen, denWellen, sich zu glätten wie steinerner Boden.

Was ist bei Gott unmöglich?

Hat Gott nicht schon durch seine Diener, die in seinem Namen handelten, Wunder gewirkt, noch bevor er in Christus, dem Sohn Gottes, unter euch war? Sind nicht die Eingeweide der Sarai, der Frau des Abrahams, fruchtbar geworden, damit sie Sara wurde und in ihrem Alter noch den Isaak gebar, der dazu bestimmt war, mit mir einen Bund zu schließen? Sind nicht die Wasser des Nils auf Befehl des Mose in Blut verwandelt und mit unreinen Tieren erfüllt worden? Und sind nicht durch sein Wort Tiere an der Pest gestorben und die Fleischteile der verfaulten Glieder abgefallen, zermalmt wie durch einen Mühltrichter? Sind nicht Felder durch wildes Hagelwetter vernichtet und Bäume von Heuschrecken kahlgefressen worden, und wurde nicht drei Tage lang das Licht ausgelöscht, alle Erstgeburten getötet, dass Meer zum Durchgang der Israeliten geöffnet und das Bitterwasser versüßt?

War nicht Überfluß an Wachteln und Manna vorhanden, und wurde nicht Wasser aus dem trockenen Felsen geschlagen? [Ex 7,17ff; 17,7]. Hat Josua nicht den Lauf der Sonne aufgehalten? [Jos 10,12–14]. Hat der Knabe David nicht den Riesen Goliat erschlagen? [1 Sam 17]. Hat Elija nicht Mehl und Öl vermehrt und den Sohn der Witwe von Sarepta von den Toten erweckt? [1 Kön 17,7–24]. Und ist auf seinen Befehl nicht Regen über das trockene Land gefallen und hat nicht Feuer vom Himmel das Brandopfer verbrannt? [1 Kön 18,19–46]. Und ist das Neue Testament nicht ein großer Blumengarten von Wundern? Wer ist der Herr des Wunders? Was ist bei Gott unmöglich? Wer ist wie Gott?

Beugt die Stirn und betet an! Die Zeiten reifen für die große Ernte, und bevor der Mensch aufhört zu sein, muss alles bekannt sein: sowohl die Prophezeiungen nach Christus, als auch jene vor Christus, und der biblische Symbolismus, der schon mit den ersten Worten der Genesis beginnt! Und wenn ich euch nun über einen Punkt unterrichte, der bisher unerklärt blieb, so nehmt das Geschenk an und zieht Nutzen daraus und nicht Verdammung! Macht es nicht wie die Juden in der Zeit meines sterblichen Lebens, die ihr Herz vor meinen Lehren verschlossen, und da sie mir nicht gleichkamen im Verständnis der Geheimnisse und der übernatürlichen Wahrheiten, mich zum Besessenen und Lästerer erklärten.

Ich sprach von einem „metaphorischen Baum“. Jetzt nenne ich ihn einen „symbolischen Baum“. Vielleicht versteht ihr das besser.

Sein Symbol ist klar: Aus dem Verhalten der beiden Gotteskinder gegenüber diesem Baum konnte man schließen, ob sich in ihnen eine Neigung zum Guten und Bösen entwickelte. Wie das Königswasser das Gold prüft und die Goldwaage die Karate wägt, so wurde dieser Baum zu einem Mittel, um ihr Verhalten Gott gegenüber zu prüfen.

Er erwies das Maß der Reinheit des Metalls von Adam und Eva.

Ich kenne schon euren Einwand: „Ist das nicht eine übertriebene Verurteilung und ist das nicht ein kindisches Mittel, um eine Verurteilung zu veranlassen?“