22.07.2017

Hl. Gregor der Große (540 — 604), Papst und Kirchenlehrer zum Evangelium vom 22.07.2017

Habt ihr gesehen, den meine Seele liebt?“ (Hld 3,3)

Es ist zu erwägen, welch machtvolle Liebe das Herz der Frau entflammt hatte, die vom Grab des Herrn nicht fortging, selbst als die Jünger fortgingen. Sie suchte den, den sie nicht gefunden hatte, sie suchte unter Tränen, und vom Feuer ihrer Liebe entflammt, brannte sie vor Sehnsucht nach dem, den sie fortgenommen glaubte. So kam es, dass ihn damals allein diejenige sah, die zurückgeblieben war, um zu suchen, da offenkundig die Beharrlichkeit die Kraft guten Tuns ist und die Stimme der Wahrheit spricht:?Wer ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden? (Mt 10,22)

Heilige Sehnsucht steigert sich nämlich durch die Verzögerung. Wenn sie jedoch durch die Verzögerung nachlässt, war es keine Sehnsucht. Von dieser Liebe war entbrannt, wer immer zur Wahrheit gelangen konnte. Darum spricht ja David: Meine Seele dürstet nach dem lebendigen Gott, wann darf ich kommen und vor dem Angesicht meines Gottes erscheinen?“ (Ps 41,3).

Daher sagt die Kirche im Hohenlied: Ich bin verwundet vor Liebe (Hld 2,5). Frau, warum weinst du? Wen suchst du? (Joh 20,14 f.). Die Ursache des Schmerzes wird erfragt, um die Sehnsucht zu steigern, so dass sie bei der Nennung dessen, den sie suchte, noch feuriger in der Liebe zu ihm erglühte.

Da sprach Jesus zu ihr: Maria! (Joh 20,16). Nachdem er sie mit der allgemeinen Bezeichnung ihres Geschlechtes angeredet hatte und nicht erkannt wurde, ruft er sie beim Namen. Als wollte er ihr eigentlich sagen: Erkenne den wieder, von dem du erkannt worden bist. Ich kenne dich nicht nur im allgemeinen, wie die anderen, sondern in besonderer Weise. Da Maria also mit Namen gerufen wird, erkennt sie den Schöpfer und nennt ihn sogleich Rabbuni, das heißt Meister, weil er es war, der äußerlich gesucht wurde, und zugleich war er es, der sie innerlich lehrte, ihn zu suchen.