07.03.2017

Hl. Ambrosius, Kirchenlehrer (339-397) über das „Vater unser“: Lass nicht zu, dass wir in Versuchung geführt werden“!

„Erhebe also deine Augen zum Vater, der dich durch das Bad gezeugt hat, zum Vater, der dich durch den Sohn erlöst hat, uns spricht: ‚Vater unser!‘

Eine gute Hoffnung, aber eine zurückhaltende. ‚Vater‘ sagst du wie ein Sohn; aber nimm nichts

Besonderes für dich in Anspruch. Im speziellen Sinn ist er nur der Vater Christi, für uns alle ist er der gemeinsame Vater, weil er ihn allein gezeugt, uns (dagegen) geschaffen hat. Sage also auch du aus Gnade: ‚Vater unser‘, damit du gewürdigt wirst, (sein) Sohn zu sein. Zeichne dich durch geistige Betrachtung der Kirche aus!

‚Vater unser, der du bist im Himmel‘. Was bedeutet ‚im Himmel‘? Höre ein Wort der Schrift: ‚Der

Herr ist über alle Himmel erhaben‘ (vgl. Ps 113,4). Ferner findest du überall (die Aussage), dass sich der Herr über den Himmeln der Himmel befindet (vgl. 1 Kön 8,27; Ps 8,2) als ob die Engel nicht auch im Himmel sind, als ob die Herrschaften nicht auch im Himmel sind (vgl. Kol 1,16)! Er ist in jenem Himmel, von dem es heisst: ‚Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes‘ (Ps 19,2). Der Himmel ist dort, wo die Schuld gewichen ist; der Himmel ist dort, wo die Schandtaten ruhen; der Himmel ist dort, wo der Tod keine Wunde mehr schlägt.

‚Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name‘. Was heisst ‚geheiligt werden‘?

Als ob wir wünschen, dass der geheiligt wird, der sagt: ‚Seid heilig, weil auch ich heilig bin‘ (Lev

19,2), als ob ihm durch unsere Huldigung etwas an Heiligung hinzugefügt wurde! Nein. Aber er will in uns geheiligt werden, damit seine Heiligung zu uns gelangen kann“.

‚Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme‘. Als wenn

das Reich Gottes nicht ewig wäre! Jesus selbst verkündet: ‚Ich bin in ihm geboren worden‘

(vgl. Joh 18,37). Und du sagst zum Vater ‚Dein Reich komme‘, als sei es noch nicht gekommen!

Das Reich Gottes ist jedoch zu dem Zeitpunkt gekommen, als ihr seine Gnade empfangen habt. Er selbst erklärt nämlich: ‚Das Reich Gottes ist in euch‘ (Lk 17,21).

‚Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf der Erde. Unser tägliches Brot gib uns heute‘. Durch das Blut Christi hat alles sowohl im Himmel als auch auf der Erde Frieden erlangt (vgl. Kol 1,20), ist der Himmel geheiligt, der Teufel

vertrieben worden. Er hält sich dort auf, wo auch der Mensch ist, den er verführt hat.

‚Dein Wille geschehe‘, heisst, auf der Erde herrsche Friede wie im Himmel (vgl. Lk 2,14).

‚Unser tägliches Brot gib uns heute‘. Ich erinnere mich an das Wort, das ich euch bei der Erklärung der Sakramente gesagt habe. Ich habe euch erläutert, dass vor den Worten Christi das, was dargebracht wird, Brot heisst. Sobald aber die Worte Christi gesprochen sind, bezeichnet man es nicht mehr als Brot, sondern nennt es Leib. Warum heisst es dann im Gebet des Herrn, das später folgt, ‚unser Brot‘? Er hat zwar vom Brot gesprochen, es aber επιουσιον genannt, das heisst ‚wesentlich‘. Es handelt sich nicht um das Brot, das in den Körper eingeht (vgl. Mk 7,19), sondern um jenes Brot des ewigen Lebens, das unsere Seele selbst stärkt (vgl.

Joh 6,35-38). Deshalb wird es im Griechischen επιουσιοσ genannt. Der lateinische Text nennt dieses Brot ‚das tägliche‘, da die Griechen den folgenden Tag την επιουσαν ηµεραν nennen.

Sowohl das, was der lateinische Text, als auch das, was der griechische Text wiedergeben, scheint beides von Nutzen. Der griechische Text bezeichnet beides mit einem Wort, der lateinische spricht von ‚täglich‘.

Wenn es das tägliche Brot ist, warum isst du es nur nach einem Jahr, wie die Griechen im Osten

es zu halten pflegen? Empfange täglich, was dir täglich Nutzen bringt! Lebe so, dass du würdig bist, es täglich zu empfangen! Wer nicht würdig ist, es täglich zu empfangen, der ist auch nicht

würdig, es nach einem Jahr zu empfangen. Deshalb brachte der heilige Ijob für seine Kinder täglich ein Opfer dar, für den Fall, dass sie im Herzen oder mit dem Wort eine Sünde begangen hätten (vgl. Ijob 1,5). Auch du hörst, dass der Tod des Herrn, die Auferstehung des Herrn, die Erhöhung des Herrn und die Vergebung der Sünden verkündet werden, sooft das Opfer dargebracht wird, und du nimmst dieses Brot des Lebens nicht täglich zu dir? Wer eine Wunde hat, sucht ein Heilmittel. Dass wir der Sünde unterworfen sind, stellt eine Wunde dar; das himmlische und verehrungswürdige Sakrament ist das Heilmittel.

‚Unser tägliches Brot gib uns heute‘. Wenn du es täglich empfängst, heisst für dich täglich ‚heute‘. Wenn Christus für dich das Heute ist, erfolgt für dich täglich seine Auferstehung. Wie? ‚Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt‘ Apg 13,33; Ps 2,7). Heute also ist, wenn Chritus aufersteht.‚Er selbst ist das Gestern und das Heute‘, sagt der Apostel Paulus (Hebr 13,8). An einer anderen Stelle erklärt er: ‚Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe‘ (Röm 13,12). Die gestrige Nacht ist vorgerückt, der heutige Tag ist nahe.

Es folgt: ‚Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen‘. Was

ist Schuld anderes als Sünde? Wenn du also nicht Geld gegen unangemessene Zinsen aufgenommen hättest, wärest du nicht arm. Und deswegen wird es dir als Sünde angerechnet. Du hattest Geld, mit dem du reich geboren worden bist. Du warst reich, weil geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1,26 f). Du hast verloren was du besessen hast, das heisst die Demut. Da du dich dem Stolz hingeben willst, hast du das Geld verloren und bist

wie Adam nackt geworden (vgl. Gen 3,7). Du hast vom Teufel Schuld bekommen, was nicht nötig

war. Und deswegen bist du, der du frei in Christus warst, ein Schuldschein, aber der Herr hat ihn ans Kreuz geheftet und mit seinem Blut vernichtet (vgl. Kol 2,14). Er hat seine Schuld beseitigt und dir die Freiheit zurückgegeben.

Mit gutem Grund sagt er also: ‚Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren

Schuldnern erlassen‘. Beachte, was du sagst: ‚Wie ich vergebe, so vergib auch du mir‘. Wenn du vergeben hast, kannst du ihn mit Recht darum bitten, dass dir vergeben wird. Wenn du nicht

vergibst, wie kannst du ihn dann (um Vergebung) bitten?

‚Lass nicht zu, dass wir in Versuchung geführt werden, sondern rette uns vor dem Bösen‘.

Beachte, was er sagen will: ‚Lass nicht zu, dass wir in eine Versuchung geführt werden‘, der wir

nicht gewachsen sind. Er sagt nicht: ‚Führe du uns nicht in Versuchung‘, sondern er will wie ein Athlet eine solche Versuchung, der die menschliche Natur gewachsen ist, und dass ein jeder ‚von dem Bösen‘, das heisst von dem Feind, von der Sünde, befreit wird.

Der Herr, der eure Sünde weggenommen und eure Schulden erlassen hat, besitzt die Macht (vgl. 2 Kor 9,8), euch gegen die Nachstellungen des bedrängenden Teufels zu schützen und zu bewahren (vgl. Eph 6,11), damit euch der Feind, der Schuld zu zeugen pflegt, nicht überrumpelt.

Wer sich Gott anvertraut, fürchtet den Teufel nicht. ‚Wenn‘ nämlich ‚Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns‘? (Röm 8,31). Ihm also werden Lob und Ehre von Anfang an, jetzt und immer und in alle Ewigkeit zuteil. Amen“.