02.12.2017

Sel. John Henry Newman (1801-1890), Theologe und Kardinal zum Evangelium vom 02.12.2017

„Wacht und betet zu jeder Zeit“

„Wacht!“ sagt Jesus uns mit Nachdruck. Wir müssen nicht nur glauben, sondern auch wachen; wir dürfen nicht nur einfach lieben, sondern wir müssen wachen; wir müssen nicht nur gehorchen, sondern wachen. Wachsam sein warum? Für dieses große, dieses größte Ereignis: die Wiederkunft Christi. Es scheint wohl so zu sein, dass das ein ganz eigener Anruf ist, eine Verpflichtung, die uns niemals in den Sinn gekommen wäre, wenn Jesus sie uns nicht eigens aufgetragen hätte. Aber was heißt das nun – wachen? [...]

Derjenige wacht in der Erwartung Christi, der den Geist gefühlvoll, offen hält, der lebendig, aufmerksam und voller Eifer ist, um ihn zu suchen und zu ehren. Er verlangt danach, Christus in allem zu finden, was ihm widerfährt. Er würde keinerlei Überraschung, keinerlei Schrecken oder Unruhe empfinden, wenn er erführe, dass Christus da ist.

Derjenige wacht mit Christus (Mt 26,38), der weiß, dass er, die Zukunft im Auge, die Vergangenheit nicht vergessen darf, der nicht vergißt, dass Christus für ihn gelitten hat. Es wacht mit Christus, der sich, ihm zum Gedächtnis, mit seinem Kreuz und seiner Todesangst vereinigt, der freudig das Gewand trägt, das Christus bis zum Kreuz getragen und das er nach seiner Himmelfahrt zurückgelassen hat. Oft drücken die geisterfüllten Schriftsteller in ihren Briefen ihre Sehnsucht nach der zweiten Wiederkunft aus, vergessen jedoch niemals die erste – die Kreuzigung und die Auferstehung... Deshalb verschweigt der Apostel Paulus, der in seinem Brief die Korinther einlädt, „das Kommen Christi zu erwarten“, auch nicht, „immer das Todesleiden Jesu an unserem Leib zu tragen, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird“ (2 Kor 4,10). Der Gedanke an das, was Christus heute für uns ist, darf nicht die Erinnerung daran auslöschen, was er für uns war [...]

Wachen, das heißt also, losgelöst von dem zu leben, was gerade um uns ist, das heißt im Unsichtbaren leben, leben mit dem Gedanken an Christus wie er war, als er zum ersten Mal kam und wie er wiederkommen soll, nach seiner zweite Ankunft verlangen im liebenden und dankbaren Gedenken an die erste.