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Kardinal Henry Newman: Die Unsterblichkeit der Seele

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Textauszug:

„Was mag ein Mann in Tausch geben für seine Seele?“ Matth. 16, 26.

Ich nehme an, es gibt keinen auch nur einigermaßen unterrichteten Christen, der nicht glaubte, eine genaue Vorstellung von den Unterschieden zwischen unserem Glauben und den heidnischen Religionen zu haben, welche durch jenen verdrängt wurden. Jeder wird auf die Frage, welchen Gewinn uns das Evangelium gebracht, sofort mit der Antwort bereit sein, daß es uns die Erkenntnis unserer Unsterblichkeit gebracht, die Erkenntnis, daß wir eine Seele haben, die ewig leben wird; daß die Heiden dies nicht wußten, daß Christus dies lehrte, daß Christi Jünger davon überzeugt sind. Jeder wird sagen, und mit Recht sagen, daß diese ernste und erhabene Lehre es war, welche dem Christentum bei seinem ersten Auftreten Anspruch verlieh, gehört zu werden; daß sie es war, welche die gedankenlose Masse, die in den Vergnügungen und Geschäften dieses Lebens aufging, stutzig machte, sie mit dem Hinweis auf ein künftiges Leben schreckte, sie ernüchterte, bis sie aus aufrichtigem Herzen sich Gott zuwandte. Man wird behaupten, und mit Recht behaupten können, daß diese Lehre von einem künftigen Leben es war, welche die Macht und Verlockung des Heidentums brach. Die armen, geistig umnachteten Heiden waren verstrickt in alle die Ausgelassenheiten und Albernheiten einer falschen Gottesverehrung, welche das Licht der Vernunft in ihnen getrübt hatte. Sie erkannten Gott, gaben ihn aber auf für die Ausgeburten menschlicher Einbildung; sie erfanden für sich selbst Schirmer und Schützer und hatten in der Folge „viele Götter und viele Herren.“ (1. Kor. 8, 5) Sie hatten ihren unreinen Gottesdienst, ihre lärmenden Umzüge, ihre nachsichtige Lehre, ihre leichten Vorschriften, ihre sinnlichen Feste, ihre kindischen Schwärmereien, kurz alles, was zu einer Religion paßte, berechnet für Wesen, die siebzig oder achtzig Jahre lebten, um dann ein für allemal zu sterben und nicht mehr zu sein. „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot,“ das war ihre Lehre, das ihre Lebensweisheit. „Morgen sind wir tot,“ soweit gaben die Apostel ihnen recht, soweit dachten sie mit den Heiden. „Morgen sind wir tot,“ dann aber fügten sie bei „und nach dem Tode das Gericht“, das Gericht über die unsterbliche Seele, welche fortlebt, mag auch der Leib im Tode zerfallen. Diese Wahrheit war es, welche die Menschen der Notwendigkeit überführte, einen besseren und tieferen Glauben zu haben als denjenigen, welcher zur Zeit der Ankunft Christi auf Erden der herrschende war; diese Wahrheit war es, welche sie so ergriff, daß sie ihrem alten Götzendienst entsagten und dieser zerfiel. Ja, obschon dieser alle Gewalt der Welt sein nannte und auf dem Gipfel der Macht thronte, ein Schauspiel, wie es die Erde noch nie gesehen, obschon gestützt von den Großen und getragen von der Menge, von der Macht der Gewalthaber und von der Zähigkeit des gemeinen Mannes, — er zerfiel. Seine Trümmer bedeckten das Angesicht der Erde, das zerschlagene Riesengebäude seines mächtigen Trägers, des stolzen Feindes Gottes, des heidnischen römischen Reiches. Auch in unserem Lande sehen wir Reste dieser Trümmer, welche uns sagen, wie gewaltig seine Macht war; aber auch wieviel gewaltiger eben darum jenes Etwas war, das diese Macht zerschlug. Und dieses Etwas war die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. So gewaltig ist der Umschwung, den diese Lehre in der Menschheit überall da bewirkt, wo sie in der Tat und Wahrheit Annahme findet.

Ich sagte, daß jedem unter uns diese Lehre geläufig ist und daß ihre Kenntnis den wesentlichsten Unterschied zwischen unseren Überzeugungen und den Annahmen der Heiden bildet. Und doch, obschon sie uns geläufig ist und „die Richtschnur unseres Wissens“, (Röm. 2, 20) wie der hl. Paulus sich ausdrückt, kann man sich kaum dem Zweifel entschlagen, daß die große Mehrzahl derer, welche sich Christen nennen, dieselbe in ihrem Innern nicht wirksam werden lassen. Es ist in der Tat nichts weniger als leicht, uns zum Bewußtsein zu bringen, es uns fühlen zu lassen, daß wir eine Seele haben, und nicht leicht möchte es einen verhängnisvolleren Irrtum geben als den Wahn, wir verstünden diese Lehre, weil wir die Worte nachsprechen können, in welche wir sie zu kleiden pflegen. Etwas so Großes ist es, erfassen, daß wir eine Seele haben, daß dies Bewußtsein, verbunden mit dessen Folgen, gleichbedeutend ist mit ernster Religiösität, mit wahrem und praktischem Christentum. Die Unsterblichkeit seiner Seele erfassen, ist für jeden Christen notwendig mit Furcht und Zittern und Reueschmerz verbunden. Wo ist derjenige unter uns, den nicht der wirkliche Anblick des höllischen Feuers und der Seelen, die hoffnungsledig in demselben schmachten, erschüttern und ernüchtern würde? Würden nicht alle seine Gedanken von diesem schrecklichen Gesichte verschlungen werden, so daß er stille stünde, unverwandten Auges es anstarrte und alles andere vergäße; daß er nichts anderes sähe, nichts anderes hörte, ganz in seine Betrachtung verloren? Würde er nicht, wenn das Gesicht verschwände, dasselbe in seinem Gedächtnisse wie eingraviert bewahren, so daß er hinfort tot wäre für alle Freuden und alle Verrichtungen dieser Welt, nur insoweit ihnen Aufmerksamkeit schenkend, nur insoweit sich ihnen hingebend, als sie in Beziehung stehen zu seiner Schreckensvision. Derartig wäre der überwältigende Eindruck einer solchen Offenbarung, gleichviel ob sie wirkliche Reue hervorriefe oder nicht. So versenkt in den Gedanken an das künftige Leben sind jene, welche aus ganzem Herzen das Wort des Herrn und der Apostel umfassen. Zweifellos, diese Herzensverfassung, daher auch diese wahre Erkenntnis ist der großen Menge derer, die sich Christen nennen, fremd; ein undurchlässiger Schleier liegt über ihrem Auge, und obschon ihnen diese Lehre geläufig, leben sie, als hätten sie nie ein Wort von ihr vernommen. Sie leben dahin genau wie einst die alten Heiden; sie essen, sie trinken, sie vergnügen sich mit Eitelkeiten, sie leben in der Welt ohne jede Furcht und Besorgnis, als hätte Gott niemals erklärt, daß ihr Verhalten in diesem Leben entscheidend sein werde für ihr Geschick in jenem; sie leben, als hätten sie entweder keine Seele oder als gehe das Heil dieser Seele sie wenig oder gar nicht an; und das war ja das Credo der Heidenwelt.

Ende der Textprobe