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Das verlorene Sakrament

Prof. Dr. Georg May

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Quelle: Theologisches 12/1 1995/96

Einleitung

Es gehört zu den Grunddaten des christlichen Glaubens, daß der Sohn Gottes erschienen ist, um die Werke des Teufels zu zerstören (1 Joh 3,8). Die Werke des Teufels sind die Sünden. Der Engel, der Josef von der jungfräulichen Empfängnis Mariens unterrichtete, faßte den Beruf des Knaben in dem Satz zusammen: „Er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden“ (Mt 1,2). Johannes der Täufer erkannte in Jesus das „Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“ (Joh 1,29). Der Herr selbst sagt, der Menschensohn sei gekommen, „um zu dienen und sein Leben hinzugeben für viele“ (Mk 10,45). Beim Letzten Abendmahl spricht der Herr davon, daß sein Blut vergossen werde für viele „zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28). Nach dem Apostel Paulus hat sich Jesus selbst für unsere Sünden hingegeben (Gal 1,4). Christus starb für die Sünde (Röm 6,10).

Jesu Wirken galt dem Kampf gegen den Teufel und sein Reich. Er hat die Dämonen, die den Menschen schaden und sie verführen, ausgetrieben. Er hatte die Gewalt, Sünden zu vergeben (Mk 2,5-10; Lk 7,47-50). Jesus hat nicht nur wie ein Prophet verkündigt, daß Gott einem Menschen die Sünden vergeben hat, sondern er war der Träger, die Wirkursache der Sündenvergebung. Deswegen nahmen die Männer in Kapharnaum Anstoß an ihm: „Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein?“ (Mk 2,7). Die Kirche ist in die Aufgabe Jesu eingetreten und setzt sie fort

Die Kirche ist gestiftet, um als Organ Gottes bei der Aufrichtung seines Reiches zu dienen. Das Reich Gottes ist dem Reiche Satans entgegengesetzt. Daher ist der Kampf gegen Satans Reich geradezu der Daseinssinn der Kirche. „Die Kirche hörte auf, Kirche zu sein, wenn sie von dieser Sendung abließe.“[1] Der Kampf der Kirche gegen die Sünde wird auf vielerlei Weise geführt: in der Verkündigung, in der Aufstellung von Geboten und Gesetzen, in der Anleitung zum aszetischen Streben, vor allem aber in der Spendung und dem Empfang der Sakramente. Unter diesen ist eines geradezu ausschließlich der Überwindung der Sünde gewidmet; es ist das Bußsakrament. Es ist ein definierter Glaubenssatz, daß es in der Kirche ein Sakrament der Buße gibt, das von der Taufe verschieden ist (DS 1671-1672; 1701-1702). Der Empfang des Bußsakramentes ist jedem Christen, der nach der Taufe eine schwere Sünde begangen hat, heilsnotwendig (DS 1672). „Im Sakrament der Buße erlangen die Gläubigen, die ihre Sünden bereuen, den Vorsatz, sich zu bessern, haben und die Sünden dem rechtmäßigen Spender bekennen, durch die von diesem erteilte Lossprechung von Gott die Verzeihung ihrer Sünden, die sie nach der Taufe begangen haben, und werden gleichzeitig mit der Kirche versöhnt, die sie durch ihr Sündigen verletzt haben“ (c. 959 CIC/1983).

Das Bußsakrament vergibt stets die Sünden und die ewige Sündenstrafe, aber nicht immer die zeitlichen Sündenstrafen (DS 1689-1690; 1712; 1715). Die Reue ist unerläßliche Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen des Bußsakramentes (DS 1676). Sie verleiblicht sich normalerweise in der Beichte (DS 1706), dem Bekenntnis der Sünden im Bußsakrament. Das Bekenntnis aller schweren Sünden, die noch nicht unmittelbar sakramental nachgelassen sind, ist ein Gebot göttlichen Rechtes (DS 1679-1681; 1707). Die schweren Sünden sind nach Art und Zahl zu bekennen (c. 988 § 1). Das Bußsakrament ist personale Begegnung des reuigen Sünders mit dem gnädigen Gott. Das Entscheidende bei seinem Empfang ist die Umkehr, die Bekehrung, die Sinnesänderung. Die Beichtpflicht ist eine Pflicht zur Bekehrung. Dem Christen ist mit dem Beichtgebot nicht bloß auferlegt, seine Sünden zu bekennen, sondern sich von ihnen zu trennen.

Von diesem soeben kurz skizzierten Sakrament der Buße wird nun gesagt, es sei ein verlorenes Sakrament. Was bedeutet diese Aussage? Falls sie zutrifft, wie ist der Verlust des Bußsakramentes zu erklären? Und schließlich die letzte Frage: Welches sind die Folgen dieses Verlustes?


 [1] Michael Schmaus, Katholische Dogmatik, 3. Bd. 1.Halbbd. Die Lehre von der Kirche, 3.-5., völlig umgearb. Aufl. München 1958,447.