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Der Christ heute

Schwester Isa Vermehren RSCJ 

Der Christ heute

auf der Suche nach seiner Identität  

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Textauszug:

 1. Teil: Verlust der Identität 

Es ist ein offenes, und darum eben kein Geheimnis mehr, daß sich der christliche Glaube in einer tiefen Krise befindet. Es sind die Gläubigen selber, die mehr und mehr Bewußtsein entwickeln für diese immer auf­dringlicher werdende Veränderung in ihrer gesellschaft­lichen, zumal ihrer kirchlichen Umgebung. Die Symp­tome der Krise sind seit langem bekannt und werden immer unverhohlener beim Namen genannt: Bedeu­tungsverlust der christlichen Religion überhaupt, Rück­gang der sonntäglichen Kirchgänger, anhaltender Aus­fall bei Priester‑ und Ordensberufen, rascher und totaler Verfall der christlichen Wertevorstellungen besonders im Bereich Ehe und Familie, der unaufhaltsame Autori­tätsverlust der kirchlichen Amtsträger und ihrer Verlaut­barungen, dazu die zunehmende Gleichgültigkeit und Unkenntnis der elementarsten Glaubensinhalte... Der Glaube um mich herum scheint zu schwanken und zu sinken, und irgendwie wird davon meine eigene Glau­bensgewißheit in Mitleidenschaft gezogen.

Man wird unsicher in seiner Identität als katholischer Christ. Wo sind die anderen, die mir bestätigen, daß ich es noch bin? Woran erkenne ich sie, woran können sie mich erkennen? Dagegen helfen nicht mehr die alten Imperative: Halte die Gebote, folge deinem Gewissen, handle aufgrund vernünftiger Einsicht in dein sittliches Handeln! Das waren alles einmal klare und sehr verläß­liche Orientierungen, die uns heute veraltet vorkom­men. Die Gebote: Etwa die aus dem AT? Sind sie noch lebbar für den modernen Menschen? Mein Gewissen: Unterscheidet es noch zwischen gut und wahr oder nicht viel sicherer und besser zwischen nützlich und „echt“? Seitdem wir so viele Vergleichsmöglichkeiten haben mit anderen Lebens‑ und Denkkulturen, ist unser Wissen um sittliches Handeln ins Schleudern geraten, ich kann auch sagen in die Beliebigkeit. Kön­nen wir noch glauben, daß Bildung den Menschen bessert, daß Wissen ihn bessert? Welches Wissen ist gemeint? Uns sind viele Gewißheiten inzwischen verlo­ren gegangen, viele Bilder, die uns Vorbilder waren, sind zerbrochen. 

Das Wort Krise kommt von kritein, das soviel heißt wie unterscheiden. Krise ist die Zeit der entscheidenden Unterscheidung, — denken wir an die Bedeutung die­ses Wortes im Verlauf einer fiebrigen Krankheit: Die Krise bringt die Wende zum Besseren oder Schlechte­ren. In einer Krise geraten alle Verhältnisse in Bewe­gung, in eine vorübergehende Auflösung, die eine Neuformierung möglich bzw. notwendig macht. Krisen­zeit ist gefährliche Zeit, verlustreiche Zeit, ist eine schmerzliche und zugleich eine verheißungsvolle Zeit voller neuer Möglichkeiten...

Die Krise, die wir mit unserer Kirche heute durchleben, ist bei Gott nicht die erste in unserer zweitausendjähri­gen Kirchengeschichte, aber manche meinen, es sei die tiefste und wahrhaft lebensbedrohendste, weil sie nicht von außen an uns herangetragen wird, sondern im Inneren der Kirche selbst sich ausgebreitet hat. Mit unserer Hilfe? Oder gegen unseren Widerstand? Um gerecht zu bleiben gegen uns selbst, müssen wir ein wenig weiter abrücken von uns selbst.

Ende des Textauszuges