6. Kapitel

Weitere Mittel zur Erlangung des Mißtrauens gegen sich selbst und des Vertrauens auf Gott

Da alle Kraft zur Überwindung unserer Feinde aus dem Mißtrauen gegen uns selbst und aus dem Vertrauen auf Gott stammt, will ich dir noch einige Mittel an die Hand geben, damit du diese Tugenden mit Gottes Hilfe erlangen kannst.

Wisse und sei von der unumstößlichen Wahrheit gänzlich überzeugt, daß weder alle unsere Fähigkeiten - seien es angeborene oder erworbene - noch alle Gnadengaben, noch die Kenntnis der ganzen Heiligen Schrift, noch eine vieljährige Treue und Gewohnheit im Dienste Gottes uns befähigen, den göttlichen Willen zu erfüllen, wenn nicht bei jedem guten und Gott genehmen Werke, das wir verrichten sollen, bei jeder Versuchung, die wir überwinden müssen, und bei jedem Kreuz, das wir zu tragen haben, durch Gottes besonderen Beistand unser Herz unterstützt und aufgerichtet wird und Gott uns nicht seine Hand zum Handeln reicht.

Diese Wahrheit müssen wir uns unser ganzes Leben hindurch, jeden Tag und jeden Augenblick vor Augen halten, damit wir auf diese Weise niemals, auch nicht einmal in Gedanken, auf uns selbst vertrauen.

 Hinsichtlich des Vertrauens auf Gott wisse, daß es dem allmächtigen Gott stets ein leichtes ist, alle Feinde zu überwinden; mögen es ihrer nun viele oder wenige, alte und erprobte oder neue und unerfahrene sein.

Mag daher eine Seele noch so sehr mit Sünden belastet sein; mag sie auch die Fehler der ganzen Welt an sich tragen; mag sie noch so verunstaltet sein, daß man es nicht zu schildern vermag; mag sie sich noch so sehr bemüht haben, die Sünde auszurotten und das Gute zu tun und trotzdem nichts erreicht haben und sich sogar noch stärker zum Bösen hingezogen fühlen: Dennoch darf sie das Gottvertrauen nicht sinken lassen und die Waffen nicht strecken, noch die geistlichen Übungen aufgeben, sondern sie muß hochherzig weiter kämpfen. Denn sie muß bedenken, daß der in diesem geistlichen Kampfe nicht unterliegt, welcher im Kampfe nicht nachläßt und beständig sein Vertrauen auf Gott setzt. Gott läßt es zwar mitunter zu, daß seine Kämpfer verwundet werden, aber er versagt ihnen niemals seine Hilfe.

 Darauf kommt alles an, daß man im Kampfe ausharrt. Den Kämpfern, die Gott und seine Hilfe suchen, stehen ja die Hilfsmittel zur Verfügung, und gerade dann, wenn sie es am wenigsten vermuten, liegen die Feinde bereits überwunden am Boden.