55. Kapitel

Von der Liebe, die wir bei der Vorbereitung auf die heilige Kommunion in uns erwecken sollen

Um in deinem Herzen durch dieses hocherhabene Sakrament die Liebe zu Gott zu erwecken, erwäge seine Zuneigung, die er für dich hegt.

Schon am Vorabend betrachte, daß der große und allmächtige Gott nicht damit zufrieden war, dich nach seinem Bild und Gleichnis zu erschaffen und seinen eingeborenen Sohn in die Welt zu senden, damit er dreiunddreißig Jahre deiner Sünden wegen leide und um deiner Erlösung willen die bittersten Schmerzen und den qualvollen Kreuzestod erdulde, sondern er wollte ihn auch im hochheiligen Sakrament als deine Speise und Wegzehrung hinterlassen.

Überdenke einmal recht aufmerksam die unfaßbare und unübertreffliche Größe dieser Liebe, die in jeder Hinsicht überaus vollkommen und einzigartig dasteht.

Erstens: Der Zeit nach hat Gott uns von Ewigkeit her und ohne Anfang geliebt, und gleichwie er seiner Gottheit nach ewig ist, so hat er auch vor aller Zeit im Plane seiner ewigen Liebe beschlossen, uns seinen Sohn auf so wunderbare Weise zu schenken.

Von Wonne erfaßt, kannst du freudigen Herzens jubeln: „Schon von Ewigkeit her hat der allerhöchste Gott mich armes Menschenkind so hoch geschätzt und so innig geliebt, daß er meiner gedachte und mit unaussprechlicher Liebe danach verlangte, mir seinen eigenen Sohn zur Speise zu geben."

Zweitens: Jede Liebe hat ihre Grenzen, die sie nicht zu überschreiten imstande ist. Nur allein die Liebe unseres Herrn ist grenzenlos.

Um ihr daher restlos zu genügen, gab er seinen eigenen Sohn hin, der an Erhabenheit und Würde ihm gleich und eines Wesens und einer Natur mit ihm ist. Die Liebe ist daher so groß wie das Geschenk und das Geschenk so groß wie die Liebe. Beide aber sind so groß, daß kein Verstand etwas Größeres auszudenken vermag.

Drittens: Keine Not und kein Zwang haben Gott genötigt, uns seine Liebe zu schenken; einzig und allein seine eigene, wesenhafte Güte bewog ihn zu der so großen und unbegreiflichen Liebe zu uns.

Viertens: Auch kein gutes Werk, noch ein Verdienst von unserer Seite aus mußte vorausgehen, um den Allerhöchsten dazu zu bewegen, uns eine so überschwengliche Liebe zukommen zu lassen; nur aus reinster Güte hat er sich uns, seinen unwürdigen Geschöpfen, gänzlich hingegeben.

Fünftens: Richtest du deinen Blick auf die Reinheit dieser Liebe, dann bemerkst du, daß sie nicht wie irdische Liebe mit Eigennutz vermischt ist. Denn der Herr bedarf unserer Güter keineswegs; ohne uns ist er in sich allein überaus glücklich und glorreich, und nur zu unserem Vorteil hat er uns selbstlos seine unaussprechliche Güte und Liebe zugewandt. Hast du dir dies zu Herzen genommen, dann sprich zu dir selbst: „Wie kann der so große Gott überhaupt sein Herz einer so armseligen Kreatur zuwenden? Was willst du, König der Glorie, und was erwartest du von mir Häuflein Erdenstaub? O, mein Gott, ich erkenne deutlich deine einzige Absicht, welche mir die Selbstlosigkeit deiner Liebe kundtut. Denn aus keinem anderen Grunde gibst du dich mir ganz zur Speise, als um mich in dich umzuwandeln. Nicht als ob du meiner benötigst, sondern allein, damit du in mir lebst und ich in dir lebe und ich durch diese liebevolle Vereinigung in dich umgewandelt und mein Herz mit deinem göttlichen Herzen eine Einheit werde."

Freue dich voll Verwunderung, daß Gott dich so hoch schätzt und so innig liebt. Sei überzeugt, daß er mit seiner allmächtigen Liebe nichts anderes will und verlangt, als deine Liebe ganz auf sich zu ziehen. Wende daher deine Liebe von jeder Kreatur und zuletzt auch von dir selbst ab, weil auch du ein Geschöpf bist - und bringe dich restlos dem Herrn als Brandopfer dar, damit seine Liebe und sein göttliches Wohlgefallen allein deinen Verstand und Willen und dein Gedächtnis beeinflussen und alle deine Sinne beherrschen.

Siehst du nun ein, daß nichts so überirdische Wirkungen in dir auslöst als der würdige Empfang des hochheiligen Altarsakramentes, dann mache dein Herz in dieser Absicht mit folgenden Stoßgebeten und Gefühlen der Liebe weit auf:

„O Himmelsspeise, wann werde ich mich dir nur im Feuer deiner Liebe und in keinem anderen rückhaltlos zum Opfer bringen? Wann, ja wann, o unerschaffene Liebe?

O Lebensbrot, wann werde ich einzig in dir und durch dich und dir allein leben? Ach, wann, o mein Leben? Du schönes, süßes und ewiges Leben!

O himmlisches Manna, wann wird mich jede irdische Speise ekeln, daß ich nur nach dir verlange und nur an dir allein Genuß finde? Wann wird es sein, meine Wonne? Ja, wann, o mein einziges Gut?

Ach, o liebreicher und allmächtiger Herr, befreie bitte mein armes Herz von aller irdischen Anhänglichkeit und jeder sündhaften Leidenschaft! Schmücke es aus mit deinen heiligen Tugenden und dem lauteren Verlangen, alles einzig deines Wohlgefallens wegen zu tun. Denn nur so wird sich mein Herz öffnen, um dich einzuladen und dich mit sanfter Gewalt zum Eintritt zu bewegen. Dann kannst du auch in mir jene Erfolge erzielen, die du schon immer ersehnt hast."

Mit solchen Gefühlen der Liebe magst du dich am Abend und am Morgen auf die heilige Kommunion vorbereiten.

Naht die Stunde der heiligen Kommunion, dann bedenke, wen du aufnimmst:

Es ist der Sohn Gottes in seiner unendlichen Erhabenheit, ob der die Himmel und alle Mächte zittern.

Es ist der Heilige der Heiligen, der Spiegel ohne Makel und die lauterste Reinheit, gegen die kein Geschöpf rein ist.

Es ist derjenige, der aus Liebe zu dir von der ungerechten und ruchlosen Welt wie ein Wurm und Abschaum der Menschheit verworfen, erniedrigt, verhöhnt, angespien und gekreuzigt werden wollte.

Du stehst (laß es dir gesagt sein) im Begriffe, den ewigen Gott zu empfangen, in dessen Hand Leben und Tod der ganzen Welt liegt.

Und du bist aus dir nur das reinste Nichts: Um deiner Sünden und Bosheit willen tief unter dem armseligsten und unreinsten, unvernünftigen Geschöpf stehend und wert, von allen bösen Geistern der Hölle beschämt und verspottet zu werden.

Statt dich für die großen und zahllosen Wohltaten dankbar zu erweisen, hast du mit deinen Launen und Begierden einen so gütigen und liebevollen Herrn verachtet und sein kostbares Blut mit Füßen getreten.

Trotzdem ruft er dich in seiner ewigen Liebe und unwandelbaren Güte zu seinem Gottestische, ja er zwingt dich sogar zum zeitweiligen Hinzutritt mit Todesdrohung. Er verschließt dir das Tor seiner Güte nicht, noch wendet er sich von dir ab, obschon du von Natur aus gleichsam aussätzig, lahm, wassersüchtig, blind, vom Teufel besessen und vielen unreinen Lastern ergeben bist. Nur das eine verlangt er von dir:

Erstens: daß es dich reut, ihn beleidigt zu haben;

Zweitens: daß du die schweren und geringen Sünden haßt;

Drittens: daß du dich seinem Willen und seiner Vorsehung allzeit durch Besinnung und Tat bei jeder Gelegenheit zur Verfügung stellst;

Viertens: daß du mit festem Vertrauen erwartest, er werde dir verzeihen, dich reinwaschen und wider alle deine Feinde in Schutz nehmen.

Gefestigt durch die unaussprechliche Liebe des Herrn, nahe dich der heiligen Kommunion mit heiliger und liebender Furcht und sprich:

„O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich habe dich so oft und so schwer beleidigt und meine Sünden gar so wenig beweint.

O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich bin nicht frei von jeder Anhänglichkeit an die läßlichen Sünden.

O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich habe mich noch nicht rückhaltlos deiner Liebe, deinem Willen und deiner Vorsehung hingegeben.

Ach, o mein allmächtiger und allgütiger Gott, um deiner Güte und deines Wortes willen mache mich würdig, dich, meine Liebe, mit unerschütterlichem Glauben aufzunehmen."

Nach der heiligen Kommunion verschließe sofort das Innerste deines Herzens, vergiß alle Kreatur und rede mit deinem Herrn auf folgende oder ähnliche Weise:

„O höchster Himmelskönig, was hat dich bewogen, bei mir einzukehren, der ich so elend, arm, blind und nackt bin?" Und er wird dir antworten: „Die Liebe."

Erwidere darauf: „O unerschaffene Liebe, o süße Liebe, was verlangst du von mir?"

„Nichts anderes", wird er dir antworten, „als Liebe! Kein anderes Feuer soll auf dem Altar deines Herzens und in all deinen Opfern und Werken brennen als das Feuer meiner Liebe, das mir den lieblichsten Wohlgeruch bereitet, wenn es alle andere Liebe und deinen Eigenwillen restlos verzehrt hat.

Um das habe ich gebeten und bitte ich noch immer, weil ich sehnlichst verlange, daß ich ganz dein sei und du ganz mein. Das wird aber niemals der Fall sein, solange du dich nicht zu jener Hingabe durchgerungen hast, die mich erfreut, und solange du noch immer selbstsüchtig deinem eigenen Willen, deinen Begierden und deiner Ehrsucht nachgehst.

Um dir meine Liebe schenken zu können, verlange ich von dir Haß wider dich selbst und dein Herz, daß ich es mit dem meinigen vereine, welches am Kreuz darum geöffnet wurde. Ganz begehre ich dich zu besitzen, damit auch ich ganz dein sein kann. Du weißt, daß mein Wert unvergleichlich ist, dennoch stelle ich mich in meiner Güte mit dir auf dieselbe Stufe. Erwirb mich, meine geliebte Seele, indem du dich mir rückhaltlos hingibst.

Ich will von dir, daß du nichts wünschst, nichts denkst, nichts erstrebst und nichts siehst als nur mich und meinen Willen, damit ich in dir alles wünsche, denke, erstrebe und sehe, so daß dein Nichts in den Abgrund meines unendlichen Wesens versinke und darin völlig umgewandelt werde. Auf diese Weise wirst du in mir restlos glücklich und heilig werden und ich werde in dir ganz befriedigt sein."

Zum Schluß opfere dem himmlischen Vater seinen Sohn auf: Zunächst für dich und deine Anliegen, dann für die ganze Kirche, für deine Lieben und für die, denen du auf irgendeine Weise verpflichtet bist, und für die Seelen im Fegefeuer. Opfere ihn aber auch auf in Erinnerung und in Vereinigung mit jenem blutigen Opfer, das er selbst, am Kreuze hängend, dem himmlischen Vater darbrachte.

So kannst du auch alle heiligen Messen aufopfern, die an diesem Tage in der heiligen römischen Kirche gefeiert werden.