42. Kapitel

Vom Widerstand gegen den bösen Feind, der uns zu Übertreibungen zu verleiten sucht

Sieht der böse Feind, daß wir mit lebhaftem Verlangen und beherrschten Wünschen schlicht und einfach auf dem Weg der Tugend sind und daß er uns mit offener Hinterlist nicht auf seinen Pfad locken kann, dann verwandelt er sich in einen Engel des Lichtes und drängt uns dauernd mit freundlichen Vorstellungen, Aussprüchen der Heiligen Schrift und Beispielen der Heiligen, auf unvernünftige Weise den Gipfel der Vollkommenheit zu ersteigen, um uns so ins Verderben zu stürzen. Deshalb stachelt er uns an, unseren Leib durch Bußgürtel, Fasten, Geißelungen und dergleichen harte Abtötungen zu kasteien, damit wir hochmütig meinen, Großartiges zu leisten. Weiter beabsichtigt er, daß wir uns dadurch eine Krankheit zuziehen und infolgedessen unfähig zu frommen Übungen werden oder daß uns die geistlichen Übungen wegen gar zu großer Mühe und Anstrengung zum Ekel werden und wir, auf diese Weise im Guten lau geworden, mit größerer Begierde als zuvor den irdischen Genüssen und Vergnügen nachlaufen.

Das ist schon vielen begegnet, die, in geistiger Vermessenheit dem drängenden Verlangen eines unbesonnenen Eifers folgend, durch unsinnige äußere Abtötungen das Maß überschritten und so in ihrem Wahn zugrunde gingen und zum Gespött der boshaften Teufel wurden. Es wäre ihnen sicherlich nicht widerfahren, wenn sie das Gesagte wohl überlegt und bedacht hätten, daß solche Kasteiungen nur bei entsprechenden körperlichen Kräften und Geistesdemut lobenswert und nützlich sind und stets der Veranlagung und Natur des einzelnen angemessen sein müssen.

Wer in dieser strengen Lebensweise den Heiligen nicht nachfolgen kann, dem mangelt es nicht an Gelegenheiten, ihr Leben nachzuahmen, wenn er mit starkem und tatkräftigem Verlangen nach der überaus ruhmreichen Krone der wahren Kämpfer Jesu Christi strebt, indem er die ganze Welt und sich selbst geringschätzt; das Stillschweigen und die Einsamkeit liebt; Böses erduldet und seinem schlimmsten Widersacher Gutes erweist; die Sünde sorgfältig meidet, was Gott mehr gefällt als alle körperlichen Bußübungen.

Hinsichtlich der letzteren gebe ich dir den Rat, sie nur mit klugem Maß zu verwenden, damit du sie immer nach Wunsch vermehren kannst und nicht infolge gewisser Übertreibungen gezwungen wirst, sie schließlich ganz aufzugeben.

Ich glaube ja nicht, daß du in denselben Fehler mancher, sonst als fromm angesehener Leute fällst, die, durch die Schmeichelei der Natur verlockt und genarrt, allzu eifrig um die Erhaltung ihrer körperlichen Gesundheit besorgt sind. Argwöhnisch und ängstlich schweben sie schon bei einer Kleinigkeit in beständiger Unsicherheit und Furcht, sie verlieren zu können; und an nichts denken und von nichts reden sie lieber als von ihrer Lebensweise und ihren Kuren. Stets sind sie darauf bedacht, sich solche Speisen zu verschaffen, die ihrem Geschmack und Magen zusagen, der dann infolge der überflüssigen Verweichlichung geschwächt wird.

Während man unter dem Vorwand, Gott besser dienen zu können, so handelt, will man im Grunde genommen doch nur die beiden Hauptfeinde, die Seele und den Leib, miteinander versöhnen, was keinem zum Vorteil, wohl aber dem einen wie dem anderen zum Schaden gereicht, da man durch eine derartig ängstliche Sorge den Leib um seine Gesundheit und die Seele um ihre Gottverbundenheit bringt.

Deshalb ist eine abgehärtete Lebensweise auf jeden Fall besser und nützlicher. Nur darf sie nicht der oben besprochenen Mäßigkeit entbehren, die auf die verschiedenartigen Umstände und die Leibesbeschaffenheit des einzelnen Rücksicht nimmt, welche ja keiner bestimmten Regel unterworfen sind.

Ich füge noch hinzu, daß wir nicht bloß bei unseren äußeren Verrichtungen mit Maß vorgehen müssen, sondern auch beim Erwerb der inneren Tugenden Mäßigkeit bewahren sollen, die ja, wie oben gesagt wurde, von Stufe zu Stufe gewonnen werden.