31. Kapitel

Von dem listigen Versuch des Teufels, uns vom Weg der Tugend abzubringen

Sieht der böse Geist uns auf dem geraden Wege zur Tugend, so fällt er uns, wie oben gesagt wurde, mit einer vierten List an, indem er in uns fromme Wünsche verschiedenster Art weckt, um uns von der Übung der Tugend ins Laster zu stürzen.

Eine kranke Person erduldet beispielsweise ihr Unwohlsein mit Geduld und Ergebung. Der heimtückische Widersacher weiß sehr wohl, daß sie sich dadurch die Fertigkeit in der Übung der Geduld aneignet. Er stellt ihr darum all die guten Werke vor, die sie in einer anderen Lage auszuführen imstande wäre, und versucht ihr einzureden, sie könnte gesund Gott viel besser dienen und sich wie auch dem Nächsten mehr nützen.

Hat er ihr einmal solche Wünsche angeregt, so fördert und steigert er dieselben immer mehr, bis schließlich die Person darüber unruhig wird, dieselben nicht zur Ausführung bringen zu können, wie sie es gerne möchte. Und je größer und stärker ihr Verlangen wird, umso mehr wächst auch ihre Unruhe.

Und weiter verleitet der böse Feind sie ganz unbemerkt zur Ungeduld über ihre Krankheit, zwar nicht über diese als solche, sondern als Hindernis zu jenen Werken, deren Ausführung sie um eines höheren Gutes willen so sehnsüchtig verlangt.

Hat er sie so weit, dann entzieht er mit derselben Schlauheit ihren Augen das Ziel, in allem Gott zu dienen und gute Werke zu tun, und läßt ihr nur das bloße Verlangen, von ihrer Krankheit befreit zu werden.

Findet ihr Wunsch dann keine Erfüllung, so wird sie derartig beunruhigt, daß sie vollständig die Geduld verliert. Und so fällt sie, ohne sich dessen zu versehen, von der Tugend, die sie bislang übte, in das entgegengesetzte Laster. Das Mittel, um sich vor einem derartigen Betrug zu schützen und ihm wirksam zu begegnen, besteht darin, daß du dich in jeder widrigen Lage, in der du dich befindest, wohl davor hütest, irgendwelche frommen Wünsche zu hegen, die du zur Zeit nicht verwirklichen kannst und die dich wahrscheinlich nur in Unruhe versetzen würden.

In aller Demut, Geduld und Ergebenheit sei überzeugt, daß deine verwirklichten Wünsche ohnehin nicht jene Wirkung haben, die du dir einbildest, da du viel unvermögender und unbeständiger bist, als du dich selbst einschätzt.

Bedenke auch ferner, daß Gott in seinem geheimen Ratschluß, vielleicht auch deiner Sünden wegen, jenes Gute nicht einmal von dir begehrt, sondern nur von dir verlangt, daß du dich in Ergebung unter die liebevolle und mächtige Hand seiner Vorsehung beugst und verdemütigst.

Bist du durch deinen Seelenführer oder infolge einer anderen Ursache verhindert, deine Andachtsübungen wunschgemäß zu verrichten und namentlich die heilige Kommunion zu empfangen, dann laß dich nicht durch unzeitige Wünsche verwirren und beunruhigen. Befreie dich von deinem Eigenwillen und bekleide dich mit Gottes heiligem Willen und sprich zu dir selbst:

„Erblickte das Auge der göttlichen Vorsehung in mir keinen Undank und keine Mängel, dann wäre ich jetzt der Gnade, das allerheiligste Altarsakrament zu empfangen, keineswegs beraubt. Hieraus erkenne ich, daß der Herr mir meine Unwürdigkeit kundtun will; darum sei er immerdar gelobt und gepriesen! Fest baue ich, o mein Gott, auf die Forderung deiner unendlichen Güte, daß ich mich dir in allem unterwerfe, dir gehorche und mein Herz bereitwillig und ganz deinem Willen erschließe, damit du geistigerweise bei mir einkehren, es trösten und wider die Feinde stärken kannst, die es dir entfremden wollen. Alles möge geschehen, was gut in deinen Augen ist! Dein Wille, mein Schöpfer und Erlöser, sei mir jetzt und allezeit Speise und Stütze! Nur um eine Gnade, o ewige Liebe, bitte ich, daß meine Seele, geläutert und befreit von allem, was dir mißfällt, mit dem Schmuck heiliger Tugenden geziert, stets auf dein Kommen und auf alles, was du über mich zu verhängen für gut findest, gerüstet sei."

Befolgst du diese Weisungen, dann darfst du versichert sein, daß du bei jedem frommen Wunsche, den du auch nicht verwirklichen kannst, immer Gelegenheit hast, deinen Herrn auf diese Weise zufriedenzustellen, wie es ihm am besten entspricht; mag nun dieser Wunsch von der Natur oder vom bösen Feind herkommen, welcher dich zu beunruhigen und vom Weg der Tugend abzubringen sucht, oder von Gott selbst stammen, der deine Ergebung in seinen heiligen Willen zu prüfen begehrt. Denn darin besteht die wahre Gottverbundenheit und der echte Gehorsam, den Gott von uns verlangt.

Insbesondere ermahne ich dich, bei Heimsuchungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, nie ungeduldig zu werden. Falls du die erlaubten Mittel, wie sie die Diener Gottes zu gebrauchen pflegen, dagegen anwendest, so tu dies nicht allein in der Absicht und in der Erwartung auf Befreiung, sondern deshalb, weil Gott es will, daß wir uns ihrer bedienen. Wir wissen ja auch nicht, ob es seiner göttlichen Majestät genehm ist, uns gerade durch diese Mittel zu befreien.

Handelst du anders, dann werden dir noch mehr Übel widerfahren; denn gelingt die Sache nicht nach Wunsch und Willen, so gerätst du sicher in Ungeduld oder deine Geduld wird fehlerhaft, Gott weniger genehm und dir nur geringes Verdienst eintragen.

Zum Schluß mache ich dich noch auf eine versteckte Täuschung aufmerksam, die von unserer Eigenliebe erzeugt wird, welche unsere Fehler bei gewissen Gelegenheiten zudeckt und in Schutz nimmt.

So verhüllt zum Beispiel ein Kranker, der über seine Krankheit recht verdrießlich ist, seine Ungeduld mit dem Vorhang des Eifers für etwas scheinbar Gutes. Sein Mißmut, sagt er, sei keine wirkliche Ungeduld über die Beschwerden, welche ihm das Unwohlsein verursachen, sondern ein berechtigter Kummer, daß er selbst dazu Anlaß gegeben habe, oder daß andere der Pflege oder anderer Ursachen wegen durch ihn Unannehmlichkeiten erlitten.

Ähnlich macht es auch ein Ehrgeiziger, der sich über eine nicht erhaltene Ehrenstelle ärgert. Er schreibt diesen Ärger durchaus nicht seinem Hochmut und seiner Einbildung, sondern anderen Gründen zu, die ihm aber bekanntlich bei anderen Gelegenheiten gar keinen Kummer bereiten, solange ihm dabei kein Nachteil erwächst. Geradesowenig hat der Kranke, den es angeblich so schmerzt, daß andere seinetwegen sich abmühen sollen, ein Gefühl, wenn dieselben bei anderen Kranken die gleichen Beschwerden auf sich nehmen müssen.

Das beweist deutlich, daß die Wurzel ihrer Klagen nicht in der Rücksicht auf andere zu suchen ist, sondern nur in ihrer Abneigung, die sie gegen alles hegen, was ihren Neigungen zuwider ist.

Damit du nicht in denselben oder einen ähnlichen Fehler fällst, trage in Geduld jede Mühsal und Pein, welche Ursache sie auch immer haben mögen.