18. Kapitel

Vom Widerstände gegen plötzliche, leidenschaftliche Regungen

Da du bis jetzt noch nicht verstehst, dich gegen unerwartete Anwürfe von Beleidigungen oder anderen Widerwärtigkeiten zu schützen, so gewöhne dich, solche vorauszusehen, sie allmählich zu wünschen und mit vorbereitetem Herzen zu erwarten.

Um sie vorauszusehen, erwäge die Beschaffenheit deiner Leidenschaften und beachte die Personen, mit denen du zu tun hast und die Orte, an denen du dich aufhältst. Und daraus kannst du mit Leichtigkeit schließen, was dir vielleicht zustoßen wird.

Begegnet dir aber eine unvorhergesehene Widerwärtigkeit, so kannst du dir damit helfen, daß du dein Augenmerk auf andere vorausgesehene richtest und dich dabei des folgenden Verfahrens bedienst.

In dem Augenblicke, wo du die ersten Auswirkungen einer Beleidigung oder einer anderen üblen Sache zu verspüren beginnst, suche dich zu beherrschen und entschieden deinen Geist zu Gott zu erheben. Richte deinen Blick auf seine unaussprechliche Güte und Liebe zu dir, mit der er dir die Trübsal sandte, damit du sie aus Liebe zu ihm trägst und dich dadurch noch mehr läuterst und ihm auf diese Weise näher kommst und dich mit ihm vereinst.

Hast du erkannt, wie sehr es ihm gefällt, wenn du sie duldest, dann wende dich an dich selbst und tadle dich, indem du zu dir sprichst: „Ach, warum willst du dieses Kreuz nicht tragen, das nicht ein Mensch, sondern dein himmlischer Vater dir schickt?" Und zum Kreuze gewandt, umfasse es mit möglichst großer Geduld und Freude, und sprich: „O Kreuz, das die göttliche Vorsehung für mich bereitet hat, bevor ich war! O Kreuz, versüßt durch die milde Liebe meines Gekreuzigten! Hefte mich nunmehr an dich, damit ich mich ganz dem ergebe, der an dir gestorben ist und mich durch dich erlöst hat!"

Sollte die Leidenschaft aber zu Anfang die Oberhand in dir gewinnen, daß du dich nicht zu Gott aufzuschwingen imstande warst und verwundet wurdest, dann versuche, dies sobald als möglich zu tun, wie wenn du nicht verwundet worden wärest.

Das wirksamste Hilfsmittel gegen die plötzlichen Regungen ist, daß du sogleich die Ursache entfernst, aus der sie entspringen.

Du weißt zum Beispiel, daß du wegen einer Zuneigung, die du zu einer Sache hegst, in plötzliche Gemütsbewegung gerätst, sobald du von ihr belästigt wirst. Das Mittel, um dem vorzubeugen, ist, daß du dich eben gewöhnst, die Neigung auszurotten.

Geht aber die Beunruhigung nicht von einer Sache, sondern von einer Person aus, an der dir auch die unbedeutendste Handlung Abneigung und Unwillen erregt, weil sie dir so unsympathisch ist, dann besteht das Gegenmittel darin, daß du dich bemühst, deinen Widerwillen zu brechen, um sie lieb und teuer zu finden. Abgesehen davon, daß sie ein Geschöpf Gottes ist und gleich dir von der Hand des Herrn gebildet und durch dasselbe göttliche Blut erlöst wurde, bietet sie dir Gelegenheit, sofern du sie erträgst, deinem Herrn ähnlich zu werden, der gegen alle so liebevoll und gütig ist.