29.03.2017

Hl. Papst Johannes Paul II.: Der Vater liebt euch!

Nach der Menschwerdung gibt es ein menschliches Antlitz, in dem wir Gott erkennen können: »Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist«, sagt Jesus nicht nur zu Philippus, sondern allen, die glauben (ebd., 14,11). Von da an nimmt derjenige, der den Sohn Gottes aufnimmt, auch den auf, der ihn gesandt hat (vgl. ebd., 13,20). Und im Gegenteil, »Wer mich haßt, haßt auch meinen Vater« (ebd., 15,23). Seitdem ist eine neue Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf möglich, die des Sohnes zu seinem Vater: den Jüngern, die in die göttlichen Geheimnisse eindringen und ihn bitten, beten zu lernen, um Unterstützung auf ihrem Weg zu finden, antwortet Jesus, indem er sie das »Vaterunser« lehrt, »kurzer Inbegriff des ganzen Evangeliums« (Tertullian, Über das Gebet, 1; Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 7, Kempten/München 1912, S. 249). Es bestätigt uns als Kinder Gottes (vgl. Lk 11,1–4). »Zu einem gibt der eingeborene Sohn in den Worten dieses Gebetes uns die Worte, die der Vater ihm gegeben hat: Er ist der Lehrer unseres Betens. Zum andern kennt er als fleischgewordenes Wort in seinem Menschenherzen die Bedürfnisse seiner menschlichen Brüder und Schwestern und offenbart sie uns: er ist das Vorbild unseres Betens« (KKK 2765).

Als direktes Zeugnis vom Leben des Gottessohnes weist das Johannesevangelium uns den Weg, den wir gehen müssen, um den Vater kennenzulernen. Die Anrufung »Vater« ist das Geheimnis, der Atem, das Leben Jesu. Ist er denn nicht der einzige, der erstgeborene, der geliebte Sohn, auf den alles ausgerichtet ist, der schon vor der Welt beim Vater war und seine Herrlichkeit teilte? (vgl. Joh 17,5). Der Vater gibt Jesus Macht über alle Dinge (vgl. ebd., 17,2), der Vater trägt ihm auf, was er sagen und reden (vgl. ebd., 12,49) und wie er handeln soll (vgl. ebd., 14,31). Selbst die Jünger gehören ihm nicht an: der Vater hat sie ihm gegeben (vgl. ebd., 17,9) und ihm die Aufgabe anvertraut, sie vor Bösem zu bewahren, damit keiner von ihnen verlorengehe (vgl. ebd., 18,9).

In der Stunde des Übergangs aus dieser Welt zum Vater offenbart das Hohepriesterliche Gebet den Wunsch des Sohnes: »Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war« (ebd., 17,5). Als höchster und ewiger Priester stellt sich Christus an die Spitze des endlosen Zuges der Erlösten. Als Erstgeborener unter zahlreichen Brüdern führt er die Schafe der zerstreuten Herde zum einzigen Stall zurück, damit es nur »eine Herde und einen Hirten gibt« (ebd., 10,16).

Durch sein Wirken wird das Liebesbündnis, das die Dreieinigkeit verbindet, auf die Beziehung des Vaters zur erlösten Menschheit übertragen: »Der Vater liebt euch!« Wie wäre dieses Mysterium der Liebe ohne das Wirken des Heiligen Geistes verständlich, den der Vater auf das Gebet Jesu hin über die Jünger ausgießt (vgl. ebd., 14,16)? Die Menschwerdung des ewigen Wortes in der Zeit und das Geborensein für die Ewigkeit derer, die durch die Taufe mit ihm vereint werden, wären ohne das belebende Wirken dieses Geistes nicht vorstellbar.

»Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (ebd., 3,16). Gott liebt die Welt! Und trotz der Ablehnung, zu der sie fähig ist, wird sie bis zum Ende geliebt werden. »Der Vater liebt euch« seit jeher und für immer: das ist die unglaubliche Neuheit, »diese einfache und erschütternde Verkündigung ist die Kirche dem Menschen schuldig« (vgl. Christifideles laici, 34). Wenn der Sohn uns auch nur dieses eine Wort gesagt hätte, würde das schon genügen. »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es!« (1 Joh 3,1). Wir sind keine Waisen, Liebe ist möglich. Denn – wie Ihr wißt – kann man nicht lieben, ohne geliebt zu werden.

Wie aber soll diese Frohbotschaft verkündet werden? Jesus zeigt uns den Weg: wir müssen auf den Vater hören, um seine Lehre anzunehmen (Joh 6,45), und an seinem Wort festhalten (vgl. ebd., 14,23). Diese Erkenntnis des Vaters wird mehr und mehr wachsen: »Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen« (ebd., 17,26), und das Wirken des Geistes wird zur ganzen Wahrheit führen (vgl. ebd., 16,13).

Botschaft, 6. Januar 1999