28.09.2017

Hl. Papst Johannes Paul II.: Ora et labora, bete und arbeite

Der hl. Benedikt wusste bei der Abfassung seiner Regel die Zeichen der Zeit scharfsichtig und zutreffend zu deuten. Wer die Regel annahm, für den wurde die Einheit von Gebet und Arbeit zum Prinzip allen Strebens nach Ewigkeit: „Ora et labora, bete und arbeite“ […] Beim Deuten der Zeichen der Zeit wurde Benedikt die Notwendigkeit bewusst, das radikale Programm der im Evangelium dargestellten Heiligkeit […], in einer schlichten, den Dimensionen des Alltags aller Menschen angepassten Form zu realisieren. Es war an der Zeit, dass das „Heroische“ normal, alltäglich wurde, und dass das Normale, Alltägliche, heroisch wurde. So kam es, dass der Mönchsvater, der Gesetzgeber des abendländischen monastischen Lebens, zugleich zum Wegbereiter einer neuen Zivilisation wurde. Überall da, wo menschliche Arbeit die Entwicklung von Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmte, ließ er das benediktinische Programm der Evangelisation hinzutreten, das Arbeit mit Gebet und Gebet mit Arbeit vereinte […]

In unserer Zeit ist der hl. Benedikt Schutzpatron Europas. Er ist es nicht nur in Anbetracht seiner besonderen Verdienste um diesen Kontinent, um seine Geschichte und Zivilisation, sondern auch wegen der neuen Bedeutung seiner Gestalt für das heutige Europa. Man kann die Arbeit vom Gebet loslösen und sie zur einzigen Dimension der menschlichen Existenz machen. Die heutige Zeit tendiert dazu […] Man hat den Eindruck, dass die Wirtschaft den Vorrang vor der Moral hat, das Materielle vor dem Spirituellen. Einerseits nimmt die fast ausschließliche Hinwendung zum Konsum materieller Güter dem menschlichen Leben seinen tiefsten Sinn. Andererseits ist die Arbeit für den Menschen häufig ein Zwang geworden, der ihn sich selbst entfremdet […], fast ungewollt löst er sich vom Gebet und nimmt so dem menschlichen Leben die transzendente Dimension […]

Man kann nicht in die Zukunft hineinleben ohne die Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens sich bei weitem nicht auf das Materielle und Vergängliche beschränkt, dass der Sinn des Lebens über diese Welt hinausreicht […] Wenn die Gesellschaft und die Menschen unseres Kontinents das Interesse an diesem Sinn verloren haben, müssen sie ihn neu entdecken […] Wenn mein Vorgänger, Paul VI., den hl. Benedikt von Nursia zum Patron Europas ernannte, so tat er dies, weil er damit der Kirche und den Nationen Europas helfen konnte.