27.07.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zu Jesu Verbindung mit dem Vater im Leiden

Die Betrachtung des Angesichtes Christi bringt uns also dem paradoxesten Gesichtspunkt seines Geheimnisses näher, der in der letzten Stunde, der Stunde des Kreuzes, ins Blickfeld rückt. Geheimnis im Geheimnis, vor dem der Mensch nur in Anbetung das Knie beugen kann.

Vor unseren Augen stehen die Dichte und Schwere, die in der Szene des Todeskampfes im Garten Getsemani liegen. Von der ihn erwartenden Prüfung gedrückt und allein vor Gott, ruft Jesus ihn mit seinem gewohnten zärtlichen und vertraulichen Namen an: «Abba, Vater«. Er bittet ihn, wenn möglich den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen zu lassen (vgl. Mk 14,36). Aber der Vater scheint die Stimme des Sohnes nicht hören zu wollen. Um dem Menschen das Angesicht des Vaters zurückzugeben, musste Jesus nicht nur das Gesicht des Menschen annehmen, sondern sich sogar das »Gesicht« der Sünde aufladen. »Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden« (2 Kor 5,21).

Wir werden mit der Erforschung der abgründigen Tiefe dieses Geheimnisses nie zu Ende kommen. An diesem Paradoxon stößt man an. Es tritt in dem scheinbar verzweifelten Schmerzensschrei zutage, den Jesus am Kreuz ausstößt: »Eloì, Eloì, lema sabactani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk 15,34). Kann man sich eine größere Qual, eine undurchdringlichere Finsternis vorstellen? In Wirklichkeit wird das angstvolle »Warum?«, das er mit den Anfangsworten des 22. Psalms an den Vater richtet und das den vollen Realismus eines unsagbaren Schmerzes bewahrt, durch den Sinn des ganzen Gebetes erhellt. Darin verknüpft der Psalmist in einer ergreifenden Verflechtung der Gefühle das Leiden und das Vertrauen miteinander. Der Psalm fährt nämlich fort: »Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut, und du hast sie gerettet... Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe, und niemand ist da, der hilft« (22,5.12).

Liebe Brüder und Schwestern, der Schrei Jesu am Kreuz verrät nicht die Angst eines Verzweifelten, sondern das Gebet des Sohnes, der sein Leben dem Vater in Liebe darbringt, um allen das Heil zu bringen. Während er sich mit unserer Sünde identifiziert, überläßt der vom Vater Verlassene sich den Händen des Vaters. Sein Blick bleibt auf den Vater gerichtet. Eben wegen der Kenntnis und Erfahrung, die nur er von Gott hat, sieht er auch in diesem Augenblick der Finsternis klar die Schwere der Sünde und leidet dafür. Nur er, der den Vater sieht und darüber Freude in Fülle empfindet, ermißt bis zum Letzten, was es heißt, mit der Sünde seiner Liebe zu widerstehen. Vor allem und viel mehr als in körperlicher Hinsicht ist seine Passion schreckliches Leiden der Seele. Die theologische Tradition ist der Frage nicht ausgewichen, wie Jesus zugleich die tiefe Verbindung mit dem Vater, die ihrer Natur nach Quelle der Freude und Seligkeit ist, und den Todeskampf bis zum Schrei der Verlassenheit leben konnte. dass diese beiden scheinbar unvereinbaren Dimensionen nebeneinander stehen, ist tatsächlich in der unergründlichen Tiefsinnigkeit der hypostatischen Union verwurzelt.