26.07.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. an die Gottgeweihten — Berufung zur Nachfolge Christi und zum Zeugnis geben

Die Menschen unserer Zeit sind zuweilen innerlich derart verarmt, dass sie nicht einmal mehr fähig sind, sich ihrer eigenen Armut bewusst zu werden. Unser Zeitalter konfrontiert uns mit geradezu unerhörten Formen der Ungerechtigkeit, der Ausbeutung und des egoistischen Machtmißbrauchs bei einzelnen Menschen und Gruppen. Dies führt bei vielen zu jener »Trübung der Hoffnung«, von der ich in meinem Apostolischen Schreiben Ecclesia in Europa gesprochen habe (vgl. Nr. 7).

In dieser Situation sind die geweihten Männer und Frauen berufen, der desorientierten, zerrütteten und gedächtnislosen Menschheit glaubhafte Zeugnisse christlicher Hoffnung zu geben, indem sie »die Liebe Gottes, die niemanden fallen läßt, sichtbar machen« und »dem verlorenen Menschen echte Gründe zum Weiterhoffen geben« (vgl. ebd., 84). »Dafür arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt« (1 Tim 4,10).

Angesichts einer Gesellschaft, in der die Liebe häufig keinen Raum findet, ungeschuldet zum Ausdruck zu kommen, sind die gottgeweihten Personen berufen, die Logik des uneigennützigen Gebens zu bezeugen: Denn ihre Entscheidung findet »in der Radikalität der Selbsthingabe aus Liebe zum Herrn Jesus und in Ihm zu jedem Angehörigen der Menschheitsfamilie ihren Ausdruck« (vgl. Vita Consecrata, 3).

Das geweihte Leben muss zum Hüter jenes Reichtums an Leben und Schönheit werden, der jeden Durst stillen, jeden Schmerz lindern, jede Wunde heilen und jeden Wunsch nach Freude und Liebe, Freiheit und Frieden erfüllen kann.

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Ihr alle, gottgeweihte Männer und Frauen, seid berufen, Christus aus nächster Nähe nachzufolgen, untereinander so gesinnt zu sein wie er (vgl. Phil 2,5), von Ihm zu lernen, der gütig und von Herzen demütig ist (vgl. Mt 11,29), gemeinsam mit Ihm, die Werke Gottes zu vollbringen (vgl. Joh 6,38), Ihm auf dem Weg des Kreuzes zu folgen.

Das ist der einzige Weg des Jüngers. Es gibt keinen anderen. Jeden Tag müssen wir freudig und dankbar den beschwerlichen Weg der Nachfolge des Meisters gehen, um die notwendigen Kräfte aus jener Quelle zu schöpfen, der das Wasser des ewigen Lebens entspringt.

Wir müssen unser Herz öffnen für den lebensspendenden Hauch des Geistes und gegenseitig wetteifern in der geschwisterlichen Liebe und in unserem Dienst; ebenso müssen wir den Schwachen, Einsamen und Ausgegrenzten die Tür öffnen. Auf der Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends wird das Zeugnis Eures keuschen, armen und gehorsamen Lebens somit zum Widerschein des liebevollen Antlitzes Christi.

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Wenn man sich grenzenlos geliebt fühlt, kann man nicht am Geheimnis der sich hinschenkenden Liebe teilnehmen, indem man nur aus der Ferne zuschaut. Man muss sich von den Flammen, die die Opfergabe verbrennen, erfassen lassen – und dadurch selbst zur Liebe werden.