23.04.2017

Papst Johannes Paul II. zum heutigen Evangelium

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Jesus stellt diese Frage an seine Jünger in der Gegend von Cäsarea Philippi. Simon Petrus gibt die Antwort: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Der Meister seinerseits richtet an ihn die überraschenden Worte: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,17).

Was bedeutet dieses Gespräch? Warum möchte Jesus hören, was die Menschen über ihn denken? Weshalb will er wissen, was seine Jünger von ihm halten?

Jesus will, dass die Jünger sich dessen bewusst werden, was in ihren Sinnen und Herzen schlummert; sie sollen ihre Überzeugung äußern. Gleichzeitig weiß er jedoch, dass das Urteil, das sie abgeben werden, nicht nur ihr eigenes ist, sondern dass sich das offenbaren wird, was Gott in ihre Herzen mit der Gnade des Glaubens ausgegossen hat.

Dieses Ereignis in der Gegend von Cäsarea Philippi führt uns gleichsam in das „Laboratorium des Glaubens“ ein. Dort enthüllt sich das Geheimnis des Anfangs und der Reifung des Glaubens. Da ist zunächst die Gnade der Offenbarung: eine ganz innige und unaussprechliche Hingabe Gottes an den Menschen. Dann folgt der Ruf zur Antwort. Am Ende steht die Antwort des Menschen — eine Antwort, die von nun an dem ganzen Leben Sinn und Gestalt geben soll.

Darin also besteht der Glaube! Er ist die vernünftige und freie Antwort des Menschen auf das Wort des lebendigen Gottes. Die Fragen, die Jesus Christus stellt, die Antworten, die von den Aposteln und schließlich von Simon Petrus gegeben werden, stellen gleichsam eine Probe dar für die Reife des Glaubens jener, die Jesus Christus am nächsten stehen.

Das Gespräch bei Cäsarea Philippi fand in der vorösterlichen Zeit statt, d.h. vor dem Leiden und der Auferstehung Jesu Christi. Man sollte noch ein weiteres Ereignis in Erinnerung rufen, in dem Christus als Auferstandener die Reife des Glaubens seiner Apostel auf die Probe stellte. Es handelt sich um die Begegnung mit dem Apostel Thomas. Als einziger war er nicht dabei, als Christus nach seiner Auferstehung zum erstenmal in den Abendmahlssaal kam. Als die anderen Jünger ihm erzählten, sie hätten den Herrn gesehen, wollte er nicht glauben. Er sagte: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh 20,25). Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Jesus kam durch die verschlossene Tür und begrüßte die Apostel: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,26). Gleich darauf wandte er sich an Thomas: „Streck deinen Finger aus — hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ (Joh 20,27). Darauf antwortete Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28).

Auch der Abendmahlssaal von Jerusalem war für die Apostel eine Art „Laboratorium des Glaubens“. Doch geht das, was dort Thomas widerfuhr, in gewissem Sinn über das hinaus, was in der Gegend von Cäsarea Philippi geschah. Im Abendmahlssaal befinden wir uns in einer noch radikaleren Dialektik des Glaubens und Unglaubens und gleichzeitig vor einem noch tieferen Bekenntnis der Wahrheit über Jesus Christus. Es war wirklich nicht einfach zu glauben, dass Jener wieder lebendig sein sollte, den sie drei Tage zuvor im Grab beigesetzt hatten.

Der göttliche Meister hatte mehrere Male angekündigt, dass er von den Toten auferweckt würde. Mehrmals hatte er Beweise geliefert, dass er der Herr des Lebens ist. Dennoch war die Erfahrung seines Todes so stark, dass alle eine direkte Begegnung mit Ihm brauchten, um an seine Auferstehung zu glauben: die Apostel im Abendmahlssaal, die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, die frommen Frauen am Grab, ... Das brauchte auch Thomas. Als sich jedoch sein Unglaube mit der direkten Erfahrung der Gegenwart Christi traf, da sprach der zweifelnde Apostel jene Worte aus, in denen sich der innerste Kern des Glaubens ausdrückt: Wenn es so ist, wenn Du — obwohl man dich getötet hat — wirklich lebst, dann bedeutet das: Du bist „mein Herr und mein Gott“.

Mit der Episode des Thomas wird das „Laboratorium des Glaubens“ um ein neues Element reicher. Die göttliche Offenbarung, die Frage Jesu Christi und die Antwort des Menschen sind in der persönlichen Begegnung des Jüngers mit dem lebendigen Christus, dem Auferstandenen, zur Vollendung gelangt. Jene Begegnung wurde der Anfang einer neuen Beziehung zwischen dem Menschen und Christus — einer Beziehung, in der der Mensch existentiell anerkennt, dass Christus Herr und Gott ist; nicht nur Herr und Gott der Welt und der Menschheit, sondern Herr und Gott dieser meiner konkreten menschlichen Existenz. Der hl. Paulus wird eines Tages schreiben: „Das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. Gemeint ist das Wort des Glaubens, das wir verkündigen; denn wenn du mit deinem Mund bekennst: 'Jesus ist der Herr' und in deinem Herzen glaubst: 'Gott hat ihn von den Toten auferweckt', so wirst du gerettet werden“ (Röm 10,8-9).