23.03.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Hl. Erzengel Michael und Kampf gegen den Dämon/Teufel

1. Es ist mir eine Freude, heute in eurer Mitte zu weilen im Schatten dieses dem Erzengel Michael geweihten Heiligtums, das seit 15 Jahrhunderten Ziel von Pilgerfahrten und Bezugspunkt derer ist, die Gott suchen und Christus nachfolgen wollen, «denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten» (Kol l, 16). Herzlich grüße ich euch alle, ihr Pilger, die ihr aus dem Umkreis des Gargano, dieses wunderbaren Gebirgszuges, gekommen seid, der dem Blick des Besuchers reizvolle Ausblicke auf die liebliche, blühende Landschaft mit ihren charakteristischen Gruppen knorriger Ölbäume auf den Felsen bietet.

2. Wie einst viele meiner Vorgänger auf dem Stuhl Petri bin auch ich hierher gekommen, um einen Augenblick lang die diesem Heiligtum eigene Atmosphäre — Schweigen, Gebet und Buße — zu genießen; ich bin gekommen, um den Erzengel Michael zu verehren und ihn anzurufen, damit er die Kirche in einem Moment schütze und verteidige, in dem es schwierig ist, ein authentisches christliches Zeugnis ohne Kompromisse oder Halbheiten zu geben.

Seit Papst Gelasius I. im Jahr 493 gestattete, die Grotte der Erscheinungen des Erzengels Michael als Gottesdienststätte zu gestalten, ihr auch selbst seinen ersten Besuch abstattete und dabei den Ablass «Perdono angelico» gewährte, sind viele Päpste seinen Spuren gefolgt und haben diesen heiligen Ort verehrt. Zu ihnen zählt man Agapitus I., Leo IX., Urban II., Innozenz II., Cölestin III., Urban VI-, Gregor IX., den heiligen Petrus Cölestinus und Benedikt IX. Auch zahlreiche Heilige sind hierher gekommen, um Kraft und Trost zu schöpfen: ich möchte den heiligen Bernhard, den heiligen Wilhelm von Vercelli — den Gründer der Abtei Montevergine -, den heiligen Thomas von Aquin und die heilige Katharina von Siena nennen. Mit Recht berühmt geworden und immer noch in lebhafter Erinnerung ist der Besuch des heiligen Franz von Assisi, der zur Vorbereitung auf die Fastenzeit 1221 hierher kam. Die Überlieferung berichtet, dass er, der sich nicht für würdig hielt, in die heilige Grotte einzutreten, bei ihrem Eingang stehen blieb und auf einem Stein ein Kreuzzeichen einritzte.

Dieser lebendige und nie unterbrochene Strom berühmter und einfacher Pilger, der seit dem Hochmittelalter bis in unsere Tage aus diesem Heiligtum einen Ort der Begegnung im Gebete und der Stärkung des christlichen Glaubens gemacht hat, bezeugt, wie sehr die Gestalt des Erzengels Michael, Hauptfigur vieler Seiten des Alten und Neuen Testaments, vom Volk verehrt und angerufen wird, und wie sehr die Kirche seines himmlischen Schutzes bedarf, des Schutzes dessen, der in der Bibel als der große Kämpfer gegen den Drachen, den Anführer der Dämonen, vorgestellt wird. Wir lesen in der Offenbarung: «Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten, und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel und Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen»(Offb 12,7-9). Der Autor des heiligen Textes legt uns in dieser dramatischen Beschreibung den Fall des ersten Engels vor, der vom Ehrgeiz verführt wurde, «wie Gott» zu werden. So erklärt sich auch die Reaktion des Erzengels Michael, dessen hebräischer Name «Wer ist wie Gott?» das Eintreten für die Einzigkeit und Unverletzbarkeit Gottes zum Ausdruck bringt.

3. Die Angaben der Offenbarung über die Persönlichkeit und die Rolle des heiligen Michael sind zwar lückenhaft, aber sehr beredt. Er ist der Erzengel (Jud 9), der sich für die unveräußerlichen Rechte Gottes einsetzt. Er ist «der große Engelfürst, der für die Sühne des Gottesvolkes eintritt» (Dan 12,1), aus dem der Erlöser hervorgehen wird. Das neue Volk Gottes ist jetzt die Kirche. Das ist nun der Grund, warum sie Michael als ihren Beschützer und Helfer in all ihren Kämpfen für die Verteidigung und Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden betrachtet. Wenn auch, der Versicherung des Herrn gemäß, «die Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen werden» (Mt 16,18), so bedeutet das jedoch nicht, dass wir keine Prüfungen und Kämpfe gegen die Hinterlist des Bösen zu bestehen haben.

In diesem Kampf steht der Erzengel Michael der Kirche zur Seite, um sie gegen alle Bosheiten der Welt zu verteidigen und den Gläubigen beim Widerstand gegen den Dämon beizustehen, der «wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlingen kann» (l Petr 5,8).

Dieser Kampf gegen den Dämon, der die Gestalt des Erzengels Michael kennzeichnet, ist auch heute aktuell, weil der Dämon noch immer lebt und in der Welt wirkt. Tatsächlich, das Böse, das sich in ihr findet, die Unordnung in der Gesellschaft, die Widersprüchlichkeit des Menschen, die innere Zerbrochenheit, deren Opfer er ist, sind nicht nur Folgen der Erbsünde, sondern auch des verheerenden und dunklen Wirkens Satans, dieses hinterlistigen Feindes des moralischen Gleichgewichtes des Menschen, den der heilige Paulus entschieden als den «Gott dieser Weltzeit» bezeichnet, da er sich als gerissener Betörer kundtut, der es versteht, sich ins Spiel unseres Handelns einzuschleichen, um dort Abweichungen zu bewirken, die ebenso schädlich wie unseren instinktiven Wünschen scheinbar gemäß sind. Deshalb warnt der Völkerapostel die Christen vor den Hinterhalten des Dämons und seines zahlreichen Gefolges, wenn er die Bewohner von Ephesus auffordert: «Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs» (Eph 6,11-12). An diesen Kampf erinnert die Gestalt des Erzengels Michael, dem die Kirche sowohl des Ostens als auch des Westens stets besondere Verehrung entgegengebracht hat. Wie bekannt, errichtete Konstantin das erste ihm geweihte Heiligtum in Konstantinopel: das berühmte Michaelion, dem in jener neuen Hauptstadt des Reiches zahlreiche andere, dem Erzengel geweihte Kirchen folgten. Im Westen verbreitete sich die Verehrung des heiligen Michael vom 5. Jahrhundert an in vielen Städten: in Rom, Mailand, Piacenza, Genua und Venedig; die berühmteste der vielen Verehrungsstätten ist jedoch sicher die auf dem Gargano. Der Erzengel wird hier auf dem 1076 in Konstantinopel gegossenen Bronzetor dargestellt, wie er den höllischen Drachen erlegt. Dies ist das Symbol, mit dem ihn die Kunst darstellt und die Liturgie anruft. Alle erinnern sich an das Gebet, das vor Jahren am Ende der heiligen Messe gesprochen wurde: «Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe ...»Ich werde dieses Gebet gleich im Namen der ganzen Kirche wiederholen.

Vorher jedoch erteile ich euch allen, die ihr hier anwesend seid, sowie euren Familien und allen Menschen, die euch teuer sind, meinen Segen, der auch all jenen gilt, die an Leib und Seele leiden.

„Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe. Gegen die Bosheit und die Nachstellung des Teufels sei unser Schutz. Gott gebiete ihm! So bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stürze den Satan und die anderen bösen Geister, die zum Verderben der Seelen in der Welt umherschleichen, in der Kraft Gottes hinab in die Hölle.“ (Papst Leo XIII.)

Homilie bei der Wallfahrt zum Monte Gargano, 24. Mai 1987