21.08.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Evangelium vom 21.08.2017

»Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« (Mt 19, 16)

Aus der Tiefe des Herzens kommt die Frage, die der reiche Jüngling an Jesus von Nazaret richtet, eine Frage, die für das Leben jedes Menschen wesentlich und unausweichlich ist: denn sie betrifft das im eigenen Tun zu vollbringende sittlich Gute und das ewige Leben. Der Gesprächspartner Jesu ahnt, dass ein Zusammenhang zwischen dem sittlich Guten und der vollen Erfüllung der eigenen Bestimmung besteht. Er ist ein frommer Jude, der sozusagen im Schatten des Gesetzes des Herrn aufgewachsen ist. Wenn er Jesus diese Frage stellt, dürfen wir annehmen, dass er das nicht deshalb tut, weil er die im Gesetz enthaltene Antwort nicht kennt. Wahrscheinlicher ist, dass die Ausstrahlung der Person Jesu in ihm neue Fragen bezüglich des sittlich Guten aufbrechen ließ. Er spürt das Bedürfnis, dem zu begegnen, der seine Predigttätigkeit mit dieser neuen, entscheidenden Ankündigung begonnen hatte: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1, 15).

Der Mensch von heute muss sich aufs neue an Christus wenden, um von ihm die Antwort darauf zu erhalten, was gut und was schlecht ist. Er ist der Meister, der Auferstandene, der das Leben in sich hat und der in seiner Kirche und in der Welt immer gegenwärtig ist. Er erschließt den Gläubigen das Buch der Schrift und lehrt durch die volle Offenbarung des Willens des Vaters die Wahrheit über das sittliche Handeln. Am Ursprung und am Höhepunkt des Heilsplanes, des Alphas und Omegas der menschlichen Geschichte (vgl. Offb 1, 8; 21, 6; 22, 13), enthüllt Christus die Lage des Menschen und seine volle Berufung. Darum muss sich »der Mensch, der sich selbst bis in die Tiefe verstehen will — nicht nur nach unmittelbar zugänglichen, partiellen, oft oberflächlichen und sogar nur scheinbaren Kriterien und Maßstäben des eigenen Seins -, mit seiner Unruhe, Unsicherheit und auch mit seiner Schwäche und Sündigkeit, mit seinem Leben und Tod Christus nahen. Er muss sozusagen mit seinem ganzen Selbst in ihn eintreten, muss sich die ganze Wirklichkeit der Menschwerdung und der Erlösung 'aneignen' und assimilieren, um sich selbst zu finden. Wenn sich in ihm dieser tiefgreifende Prozeß vollzieht, wird er nicht nur zur Anbetung Gottes veranlaßt, sondern gerät auch in tiefes Staunen über sich selbst«.

Wenn wir also in das Innerste der Moral des Evangeliums vordringen und ihren tiefen und unwandelbaren Inhalt erfassen wollen, müssen wir sorgfältig den Sinn der von dem reichen Jüngling des Evangeliums gestellten Frage und mehr noch den Sinn der Antwort Jesu erforschen, indem wir uns von ihm leiten lassen. Jesus antwortet nämlich mit pädagogischer Einfühlung und Behutsamkeit, indem er den jungen Mann gleichsam an der Hand nimmt und Schritt für Schritt zur Wahrheit hinführt.