20.08.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Tagesheiligen Bernhard von Clairvaux

Den heiligen Bernhard zeichnete ein klares und sicheres Urteilsvermögen aus, und er sah die erhabensten Wahrheiten, die er aus dem Schatz der Heiligen Schriften und den Werken der Väter schöpfte, gleichsam leibhaftig vor sich. Vom Geist des Gebetes erfüllt, legte er sie in einer zu Herzen gehenden Sprache vor.

In treuer Anhänglichkeit an die alte Tradition des heiligen Benedikt sprach der Abt von Clairvaux offen aus, dass Gehorsam und Demut der Weg der Rückkehr zu Gott ist, von dem wir uns durch Ungehorsam und Stolz entfernt haben.Er versuchte, diese Lehre weiter zu entfalten und das innere Band zwischen dem Streben nach Wahrheit und der Übung der Demut aufzuzeigen. Immer wieder betonte er, dass die Rückkehr zu Gott ohne echte Selbsterkenntnis nicht möglich ist, und dass man Gott so lange nicht erkennt, wie zur Selbsterkenntnis nicht die Erkenntnis der Wahrheit über den Nächsten hinzukommt. Der Mensch muss also vor allem bei sich selbst einkehren, um sich nach seiner wirklichen Lage, nämlich als Sünder vor Gott, zu verstehen, und da er einsieht, dass er diese Lage mit allen anderen Menschen teilt, hat er keinen Grund, sich seiner selbst oder anderer Dinge zu rühmen. Erkennt er aber die Wahrheit über sich selbst und den Nächsten an und stellt sich gläubig unter das Wort Gottes, erfährt und empfängt er auch Gottes Barmherzigkeit und Güte, denn in dieser dreifachen Erkenntnis der Wahrheit öffnet sich ihm zugleich der Weg zur dreifachen Liebe: zu Gott, zu sich selbst und zum Nächsten.

Der heilige Bernhard lehrt, dass die Erkenntnis der Wahrheit über sich selbst, den Nächsten und Gott gleichen Schritt hält und so die dreifache Liebe im Herzen aufbricht und wächst.

Wenn der Mensch nämlich bei sich selbst einkehrt und Buße tut, erfasst er seine Pflicht, Gott wiederzulieben, der ihn durch Christus aufgesucht und erlöst hat, ferner die Pflicht, seine Liebe zu allen Menschen nachzuahmen. Der Mensch kann die Gnade des barmherzigen Gottes nicht empfangen, wenn er nicht auch sich selbst gegenüber Barmherzigkeit übt und die Sünde meidet, zugleich aber, von Barmherzigkeit zum Nächsten bewogen, seinen Schöpfer und Erlöser nachahmt, der sich so liebenswürdig dem Menschengeschlechte zuneigt. Dies ist in etwa der Kern der geistlichen Lehre des heiligen Bernhard, der zugleich zeigt, dass die monastische „Schule der Liebe“ die er begründet hat, auch für unsere Zeit volle Geltung besitzt.

Wenn wir nämlich die Rückkehr zu Gott in dieser Weise verstehen, können wir zugleich erfassen, dass die Wiederaufrichtung der Würde des Menschen, die Reinigung des persönlichen Lebens und die Pflicht zur Selbst- und Nächstenliebe aus der gleichen Quelle der Liebe zu Gott hervorgehen.