20.06.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zu Vergebung und Feindesliebe = zum Evangelium vom 20.06.2017

Es gibt Christen, die auf eine Periode ständiger geistlicher Anstrengung glauben verzichten zu können, da sie die dringliche Auseinandersetzung mit der Wahrheit des Evangeliums nicht spüren. Sie wollen im eigenen Lebensstil nicht gestört werden und sind deshalb versucht, Worte, wie: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen“(Lk 6,27), zu entschärfen und auszuhöhlen. Für sie sind solche Imperative schwer anzunehmen und in das Leben umzusetzen; werden sie ernst genommen, so erfordern sie ja eine radikale Umkehr. Indessen sind manche bei Beleidigungen oder Verletzungen versucht, den psychologischen Mechanismen des Selbstmitleids und dem Vergeltungsdrang nachzugeben und die Einladung Jesu zur Feindesliebe zu ignorieren. Doch zeigt der Alltag fortwährend, dass Vergebung und Versöhnung für eine wirkliche persönliche und soziale Erneuerung unerläßlich sind. Dies gilt für die interpersonalen Beziehungen wie für die zwischen Gemeinschaften und Nationen.

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Der einzige Weg zum Frieden ist die Vergebung. Vergebung zu gewähren und zu erlangen, ermöglicht eine neue Qualität der Beziehungen zwischen den Menschen. Sie durchbricht die Spirale von Hass und Rache sowie die Ketten des Bösen, welche die Herzen der Betroffenen fesseln. Für die Nationen auf der Suche nach Versöhnung und für alle, die ein friedliches Zusammenleben zwischen den Individuen und den Völkern ersehnen, gibt es nur den Weg der gewährten und erlangten Verzeihung. Welch reiche, heilbringende Lehre enthalten die Worte des Herrn: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er läßt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,44-45)! Die Liebe zu dem, der uns beleidigt hat, entwaffnet den Gegner und vermag auch ein Kampffeld in einen Ort solidarischer Zusammenarbeit umzuwandeln.

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„Die Liebe trägt das Böse nicht nach“ (1 Kor 13,5). Mit dieser Aussage aus dem ersten Korintherbrief erinnert der Hl. Paulus an die Vergebung als eine der vornehmsten Formen der Liebe. Die Fastenzeit ist besonders geeignet, den Rang dieser Wahrheit zu künden. Durch das Sakrament der Versöhnung schenkt uns der Vater in Christus seine Vergebung, und diese drängt uns, eine Liebe zu leben, die andere nicht als Feinde, sondern als Geschwister betrachtet.

Möge diese Zeit der Buße und der Versöhnung die Gläubigen ermutigen, offen für alle Dimensionen des Menschseins in echter Liebe zu denken und zu handeln. Diese innere Haltung läßt sie die Früchte des Geistes (vgl. Gal 2,22) tragen.

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Brüder und Schwestern! Der griechische Prediger Johannes Chrysostomus vermerkt bei der Erklärung von Jesu Weg nach Jerusalem, dass Christus die Jünger nicht im Ungewissen läßt über die Kämpfe und Opfer, die sie erwarteten. Er hebt die Schwierigkeiten hervor, das eigene „Ich“ hintanzusetzen. Möglich sei es dem, der auf die Hilfe Gottes zähle, die uns „durch die Gemeinschaft mit der Person Christi“ (PG 58, 619s) gewährt wird.