16.10.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zu Jesu Auswahl Seiner Diener unter den Sündern

Das ist ein großes Geheimnis, liebe Priester: Christus hatte keine Angst, seine Diener unter den Sündern auszuwählen. Ist das nicht unsere Erfahrung? Wieder trifft es Petrus, dem dies in dem ergreifenden Gespräch mit Jesus nach der Auferstehung noch lebendiger bewusst wird. Bevor ihm der Meister das Hirtenamt überträgt, stellt er ihm die peinliche Frage: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?« (Joh 21,15). Der Angesprochene ist derjenige, der ihn einige Tage zuvor dreimal verleugnet hat. Man versteht gut den demütigen Ton seiner Antwort: »Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebhabe« (ebd., Vers 17). Auf Grund dieser Liebe in Erfahrung der eigenen Schwäche, einer ebenso bange wie vertrauensvoll eingestandenen Liebe, erhält Petrus das Amt: »Weide meine Lämmer«, »Weide meine Schafe« (ebd., Verse 15.16.17). Auf Grund dieser Liebe, noch gestärkt vom Feuer an Pfingsten, wird Petrus das empfangene Amt erfüllen können.

Und entsteht nicht auch die Berufung des Paulus in einer Erfahrung der Barmherzigkeit? Keiner hat wie er die Ungeschuldetheit der Wahl Christi empfunden. Seine Vergangenheit als verbissener Verfolger der Kirche wird ihm immer auf der Seele brennen: »Denn ich bin der geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe« (1 Kor 15,9). Und dennoch wird diese Erinnerung keineswegs seine Begeisterung schwächen, sondern ihn immer wieder beflügeln. Je mehr er von der Barmherzigkeit umfangen wurde, desto mehr fühlt er das Bedürfnis, sie zu bezeugen und auszustrahlen. Die »Stimme«, die ihn auf dem Weg nach Damaskus erreicht, führt ihn zum Herzen des Evangeliums und läßt ihn dieses als barmherzige Liebe des Vaters entdecken, der in Christus die Welt mit sich versöhnt. Auf dieser Grundlage wird Paulus auch den apostolischen Dienst als Dienst der Versöhnung verstehen: »Aber das alles kommt von Gott, der in Christus die Welt mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung zur Verkündigung anvertraute« (2 Kor 5,18-19).

Die Zeugnisse von Petrus und Paulus, liebe Priester, enthalten für uns wertvolle Hinweise. Sie fordern uns auf, mit einem Gefühl unendlicher Dankbarkeit das Geschenk des Dienstamtes zu leben: Wir haben nichts verdient, alles ist Gnade! Zugleich veranlaßt uns die Erfahrung der beiden Apostel, uns der Barmherzigkeit Gottes zu überlassen, um in ehrlicher Reue unsere Schwächen bei ihm abzuladen und mit seiner Gnade unseren Weg der Heiligkeit wieder aufzunehmen. In Novo millennio ineunte habe ich auf das Bemühen um Heiligkeit als den Hauptpunkt einer klugen pastoralen »Planung« hingewiesen. Es ist die grundlegende Verpflichtung aller Gläubigen; um wieviel mehr muss es das also für uns sein (vgl. Nr. 30-31)!

 

 

15.10.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Gespür für das Mysterium

Gewisse Symptome lassen ein Schwinden des Sinnes für das Mysterium sogar in den liturgischen Feiern erkennen, die doch gerade in das Mysterium einführen sollten. Es ist daher dringend nötig, dass in der Kirche wieder ein echtes Gespür für die Liturgie erwacht. Die Liturgie ist, wie von den Synodenvätern in Erinnerung gerufen, ein Hilfsmittel zur Heiligung; sie ist Feier des Glaubens der Kirche und Medium zur Weitergabe des Glaubens. Zusammen mit der Heiligen Schrift und den Lehren der Kirchenväter ist sie die lebendige Quelle echter, solider Spiritualität. Durch sie treten die Gläubigen – wie dies auch die Tradition der ehrwürdigen Ostkirchen deutlich hervorhebt – in Gemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit, und erfahren ihre Teilhabe an der göttlichen Natur als Gnadengabe. Die Liturgie wird so zur Vorwegnahme der endzeitlichen Seligkeit und zur Teilhabe an der himmlischen Herrlichkeit.

In den liturgischen Feiern müssen wir Jesus wieder in den Mittelpunkt stellen, um uns von ihm erleuchten und leiten zu lassen. Hier können wir eine der stärksten Antworten finden, die unsere Gemeinden auf eine vage und inhaltslose Religiosität zu geben berufen sind. Der Zweck der Liturgie der Kirche liegt nicht in der Befriedigung der Wünsche und der Besänftigung der Ängste des Menschen, sondern im Hören und Empfangen Jesu, des Lebendigen, der den Vater ehrt und preist, um so mit Jesus den Vater zu lobpreisen und zu ehren. Die kirchlichen Gottesdienste verkünden, dass unsere Hoffnung von Gott her zu uns kommt, und zwar durch unseren Herrn Jesus.

Es geht darum, die Liturgie als Werk der Dreifaltigkeit zu leben. Der Vater handelt für uns in den gefeierten Geheimnissen; er ist es, der zu uns spricht, uns vergibt, uns anhört, uns seinen Geist schenkt. An ihn wenden wir uns, auf ihn hören wir, ihn preisen wir und ihn rufen wir an. Jesus setzt sich für unsere Heiligung ein, indem er uns an seinem Mysterium teilhaben läßt. Der Heilige Geist wirkt mit seiner Gnade und macht uns zum Leib Christi, zur Kirche.

Die Liturgie muss als Ankündigung und Vorwegnahme der künftigen Herrlichkeit, als End- und Zielpunkt unserer Hoffnung, gelebt werden. Denn wie das Konzil lehrt, »nehmen wir in der irdischen Liturgie vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind [...], bis Christus erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit« .