11.08.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Evangelium vom 11.08.2017

»Wer mein Jünger sein will« – so sagt Jesus –, »der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Lk 9,23). Jesus ist nicht der Messias des Triumphs und der Macht. Denn in der Tat hat er Israel nicht von der römischen Herrschaft befreit und ihm keinen politischen Ruhm zugesichert. Als wahrer Diener des Herrn hat er seine Sendung als Messias in der Solidarität, im Dienst, in der Demütigung des Todes verwirklicht. Er ist ein Messias, der alle Schemata übersteigt, jemand, der kein Aufsehen erregt und den man mit der Logik des Erfolgs und der Macht, die die Welt oft als Kriterium zur Bewertung ihrer Pläne und Handlungen heranzieht, nicht »verstehen« kann.

Jesus ist gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, und er bleibt diesem Willen bis zuletzt treu; so erfüllt Er seinen Heilsauftrag für alle, die an Ihn glauben und Ihn lieben – nicht mit Worten, sondern ganz konkret. Wenn die Liebe die Voraussetzung für die Nachfolge Jesu ist, dann ist es das Opfer, das die Echtheit jener Liebe bestätigt (vgl. Apost. Schreiben Salvifici doloris, 17 –18).

»Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Lk 9,23). Diese Worte drücken die Radikalität einer Entscheidung aus, die kein Zögern und keine Meinungsänderungen zuläßt. Es ist eine harte Forderung, die auch zur damaligen Zeit die Jünger beeindruckte und die im Laufe der Jahrhunderte viele Männer und Frauen von der Nachfolge Christi abgehalten hat. Aber eben diese Radikalität hat auch bewundernswerte Früchte der Heiligkeit und des Martyriums hervorgebracht, die den Weg der Kirche durch die Zeit bestärken. Noch heute klingt dieses Wort empörend und erscheint als Torheit (vgl.1 Kor 1,22 –25). Und doch muss man sich mit ihm auseinandersetzen, denn der von Gott für seinen Sohn vorgezeichnete Weg ist der gleiche, den der zur Nachfolge Jesu entschlossene Jünger gehen muss. Es gibt keine zwei Wege, sondern nur einen einzigen, nämlich den, den der Meister gegangen ist. Dem Jünger ist es nicht gestattet, sich einen anderen auszudenken.

Jesus geht den Seinen voran und fordert von jedem, dasselbe zu tun, was Er selbst getan hat. Er sagt: Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen; wer also wie ich sein möchte, der sei der Diener aller. Ich bin zu Euch gekommen als einer, der nichts besitzt; darum kann ich auch von Euch fordern, jeder Art von Reichtum zu entsagen, der Euch am Eintreten in das Reich Gottes hindert. Ich akzeptiere den Widerspruch und die Tatsache, von der Mehrheit meines Volkes abgelehnt zu werden; so kann ich auch von Euch fordern, Widerspruch und Ablehnung zu akzeptieren, von welcher Seite sie auch immer kommen mögen.

Mit anderen Worten: Jesus verlangt, sich mutig für den gleichen Weg wie er zu entscheiden; sich zuallererst »im Herzen« dafür zu entscheiden, denn diese oder jene äußerliche Situation vorzufinden, hängt nicht von uns ab. Von uns hängt jedoch der Wille ab, so weit wie möglich dem Vater gehorsam zu sein, so wie Er es gewesen ist, und bereit zu sein, seinen Plan für jeden von uns bis zum Letzten anzunehmen.

»Der verleugne sich selbst.« Sich selbst zu verleugnen bedeutet, auf die eigenen, oft beschränkten und engherzigen Projekte zu verzichten, um den Plan Gottes anzunehmen: Das ist der Weg der Bekehrung, der für das christliche Dasein unentbehrlich ist und der den Apostel Paulus zur Aussage führte: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20).

Jesus verlangt nicht, auf das Leben zu verzichten, sondern eine Neuheit und Fülle des Lebens anzunehmen, die nur Er geben kann. In den Tiefen des Menschenwesens wurzelt die Neigung, »an sich zu denken«, die eigene Person in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen und sich selbst zum Maß aller Dinge zu machen. Wer aber Christus folgt, der lehnt diesen Rückzug ins Ich ab und bewertet die Dinge nicht auf der Grundlage des eigenen Nutzens: Er betrachtet das gelebte Leben im Hinblick auf Schenken und Unentgeltlichkeit, nicht auf Eroberung und Besitz. Das wahre Leben äußert sich nämlich in der Selbsthingabe, die eine Frucht der Gnade Christi ist: ein freies Dasein, in Gemeinschaft mit Gott und mit den Brüdern (vgl. Gaudium et spes , 24).

Wenn die Nachfolge des Herrn zum höchsten Wert wird, dann empfangen alle anderen Werte davon ihre rechte Anordnung und Wichtigkeit. Wer nur auf irdische Güter setzt, wird letztendlich verlieren, trotz allen vermeintlichen Erfolgs: Der Tod wird ihn mit vielen angehäuften Dingen, aber in einem verfehlten Leben überraschen (vgl. Lk 12,13 –21). Die Entscheidung fällt also zwischen Sein und Haben, zwischen einem erfüllten Leben und einem leeren Dasein, zwischen Wahrheit und Lüge.