06.11.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zur Todsünde

Mit der ganzen Tradition der Kirche nennen wir denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht (conversio ad creaturam — Hinwendung zum Geschaffenen). Dies kann auf direkte und formale Weise geschehen, wie bei den Sünden der Götzenverehrung, des Abfalles von Gott und der Gottlosigkeit, oder auf gleichwertige Weise, wie in jedem Ungehorsam gegenüber den Geboten Gottes bei schwerwiegender Materie. Der Mensch spürt, dass dieser Ungehorsam Gott gegenüber die Verbindung mit seinem Lebensprinzip abschneidet: Es ist eine Todsünde, das heißt ein Akt, der Gott schwer beleidigt und sich schließlich gegen den Menschen selbst richtet mit einer dunklen und mächtigen Gewalt der Zerstörung.

Während der Synodenversammlung wurde von einigen Vätern eine dreifache Unterscheidung der Sünden vorgeschlagen, die in läßliche, schwere und todbringende Sünden einzuteilen wären. Eine solche Dreiteilung könnte deutlich machen, dass es bei den schweren Sünden Unterschiede gibt. Dabei bleibt es jedoch wahr, dass der wesentliche und entscheidende Unterschied zwischen jener Sünde besteht, die die Liebe zerstört, und der Sünde, die das übernatürliche Leben nicht tötet: Zwischen Leben und Tod gibt es keinen mittleren Weg.

Gleichfalls muss man vermeiden, die Todsünde zu beschränken auf den Akt einer Grundentscheidung gegen Gott (»optio fundamentalis«), wie man heute zu sagen pflegt, unter der man dann eine ausdrückliche und formale Beleidigung Gottes oder des Nächsten versteht. Es handelt sich nämlich auch um Todsünde, wenn sich der Mensch bewusst und frei aus irgendeinem Grunde für etwas entscheidet, was in schwerwiegender Weise der Ordnung widerspricht. Tatsächlich ist ja in einer solchen Entscheidung bereits eine Mißachtung des göttlichen Gebotes enthalten, eine Zurückweisung der Liebe Gottes zur Menschheit und zur ganzen Schöpfung: Der Mensch entfernt sich so von Gott und verliert die Liebe. Die Grundentscheidung kann also durch einzelne Akte völlig umgeworfen werden. Zweifellos kann es unter psychologischem Aspekt viele komplexe und dunkle Situationen geben, die für die subjektive Schuld des Sünders Bedeutung haben. Aus der Betrachtung des psychologischen Bereichs kann man jedoch nicht zur Aufstellung einer theologischen Kategorie übergehen, wie es gerade die »optio fundamentalis« ist, wenn sie so verstanden wird, dass sie auf der objektiven Ebene die traditionelle Auffassung von Todsünde ändert oder in Zweifel zieht.

Wenn auch jeder ehrliche und kluge Versuch, das psychologische und theologische Geheimnis der Sünde zu klären, anerkannt werden muss, so hat die Kirche doch die Pflicht, alle Erforscher dieser Materie einerseits an die Notwendigkeit zu erinnern, dem Wort Gottes treu zu bleiben, das uns auch über die Sünde belehrt, und andererseits auf die Gefahr hinzuweisen, dass man dazu beiträgt, in der heutigen Welt den Sinn für die Sünde noch mehr abzuschwächen.