06.09.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zur Notwendigkeit der Erstverkündigung und Neuverkündigung

In verschiedenen Teilen Europas bedarf es einer Erstverkündigung des Evangeliums; die Zahl der Nichtgetauften nimmt zu, sei es aufgrund der beträchtlichen Anwesenheit von Einwanderern, die anderen Religionen angehören, sei es deshalb, weil auch Kinder aus traditionell christlichen Familien entweder wegen der kommunistischen Herrschaft oder wegen einer weitverbreiteten religiösen Gleichgültigkeit die Taufe nicht empfangen haben. Tatsächlich ist Europa inzwischen zu jenen traditionell christlichen Gebieten zu rechnen, in denen außer einer Neuevangelisierung in bestimmten Fällen eine Erstevangelisierung nötig erscheint.

Die Kirche kann sich der Pflicht einer mutigen Diagnose nicht entziehen, welche die Einleitung geeigneter Therapien gestattet. Auch im »alten » Kontinent gibt es breite soziale und kulturelle Schichten, in denen eine regelrechte Mission ad gentes notwendig wird.

Überall aber ist – auch für die bereits Getauften – eine erneute Verkündigung nötig. Viele europäische Zeitgenossen meinen zu wissen, was das Christentum ist, kennen es jedoch nicht wirklich. Häufig sind sogar die wesentlichen Elemente und Grundbegriffe des Glaubens nicht mehr bekannt. Viele Getaufte leben so, als ob Christus nicht existierte: Man wiederholt, insbesondere durch die kirchlichen Bräuche, die Gesten und Zeichen des Glaubens, aber es entspricht ihnen keine tatsächliche Annahme des Glaubensinhalts und kein Festhalten an der Person Jesu. An die Stelle der großen gewissheiten des Glaubens ist bei vielen ein vages und wenig verbindliches religiöses Gefühl getreten. Es verbreiten sich verschiedene Formen von Agnostizismus und praktischem Atheismus, die zur Verschärfung der Kluft zwischen Glaube und Leben beitragen. Viele haben sich vom Geist eines innerweltlichen Humanismus anstecken lassen, der ihren Glauben geschwächt und sie leider oft dazu geführt hat, ihn ganz aufzugeben. Wir erleben eine Art säkularistischer Auslegung des christlichen Glaubens, die ihn aushöhlt und mit der eine tiefe Krise des Gewissens und der christlichen Moralpraxis einhergeht. Die großen Werte, die die europäische Kultur weitreichend inspiriert haben, sind vom Evangelium abgetrennt worden und haben so ihr tiefstes Wesen verloren und Raum gelassen für nicht wenige Verirrungen.

»Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?« (Lk 18, 8). Wird er ihn auf dieser Erde unseres Europas alter christlicher Tradition noch finden? Das ist eine offene Frage, die mit aller Klarheit auf die Tiefgründigkeit und Dramatik einer der ernstesten Herausforderungen hinweist, mit denen sich unsere Kirchen auseinandersetzen müssen. Man kann sagen – wie es bei der Synode unterstrichen wurde –, dass diese Herausforderung oft nicht so sehr darin besteht, die Neubekehrten zu taufen, sondern die Getauften dahin zu bringen, sich zu Christus und seinem

Evangelium zu bekehren: In unseren Gemeinden muss man sich ernsthaft darum bemühen, das Evangelium der Hoffnung allen zu bringen, die dem Glauben fernstehen oder sich von der christlichen Praxis entfernt haben.