03.12.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum Evangelium vom 03.12.2017

»Reiß doch den Himmel auf und komm herab!« Diese kraftvolle Anrufung des Jesajas (63,19) ist eine gelungene Zusammenfassung der Gotteserwartung, die zunächst in der biblischen Geschichte des Volkes Israel, aber auch im Herzen jedes Menschen zu finden ist: Sie ist nicht ins Leere gegangen. Gott-Vater hat die Schwelle seiner Transzendenz überschritten: Durch seinen Sohn Jesus Christus hat er sich auf die Straßen des Menschen begeben, und sein Geist des Lebens und der Liebe ist in das Herz seiner Geschöpfe eingedrungen. Er läßt uns nicht weit von seinen Wegen abirren und läßt es nicht zu, dass unser Herz sich für immer verhärtet (vgl. Jes 63,17). In Christus kommt Gott uns nahe, vor allem wenn unser »Antlitz traurig« ist; dann beginnt unser Herz – wie bei den Emmaus-Jüngern – durch die Wärme seines Wortes in unserer Brust zu brennen (vgl. Lk 24,17.32). Das Vorübergehen Gottes ist jedoch geheimnisvoll und erfordert klare Augen, um erkannt zu werden, und zum Zuhören bereite Ohren.

Vor diesem Hintergrund möchten wir uns heute auf zwei Grundhaltungen konzentrieren, die in Bezug auf den Gott-Emanuel eingenommen werden wollen, denn er hat beschlossen, dem Menschen sowohl in Raum und Zeit als auch im Innersten seines Herzens zu begegnen. Die erste Haltung ist die des Wartens, das in dem vorhin gehörten Abschnitt des Markusevangeliums sehr schön dargestellt ist (vgl. Mk 13,33–37). Im griechischen Originaltext finden wir drei Imperative, die dieses Warten zum Ausdruck bringen. Der erste davon ist: »Seht euch vor«, wörtlich: »schaut, beachtet«. Das Wort »sich vorsehen« selbst bedeutet »gespannt sein« und mit ganzer Seele auf etwas hinstreben. Es ist das Gegenteil von der Zerstreutheit, die leider zu einem fast normalen Zustand geworden ist, vor allem in einer hektischen und oberflächlichen Gesellschaft wie der heutigen. Es ist schwer, sich auf ein Ziel oder einen Wert zu konzentrieren und ihn treu und konsequent zu verfolgen. Wir riskieren, auf die gleiche Art mit Gott zu verfahren, der durch die Menschwerdung zu uns gekommen ist, um der Leitstern unseres Daseins zu werden.

Dem Gebot des »Sich-Vorsehens« folgt das des »Wachens«, das im griechischen Original mit »schlaflos bleiben« gleichzusetzen ist. Die Versuchung, in den Schlaf zu fallen, ist groß, wenn man von dunkler Nacht umgeben ist. In der Bibel ist die Nacht das Symbol von Schuld, Untätigkeit, Ablehnung des Lichts. So versteht man die Aufforderung des Apostels Paulus: »Ihr aber, Brüder, lebt nicht im Finstern [. . .] Ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein« (1 Thess 5,4–6). Nur wenn wir uns von der dunklen Anziehungskraft der Finsternis und des Bösen befreien, werden wir dem Vater des Lichts begegnen, »bei dem es keine Veränderung und keine Verfinsterung gibt« (Jak 1,17).

Dann folgt ein dritter Imperativ, der im griechischen Text zweimal mit demselben Wort wiederholt wird: »Seid wachsam!« Es ist das Verb des Wächters, der auf der Hut sein muss, während er geduldig die nächtliche Zeit verstreichen läßt und darauf wartet, die Morgenröte am Horizont aufgehen zu sehen.

Man muss sich befragen, sich bekehren und dem Herrn entgegengehen. Die drei Aufrufe Christi: »Seht euch vor, bleibt wach, seid wachsam!« sind ein eindeutiges Zusammenfassen des christlichen Wartens auf die Begegnung mit dem Herrn. Das Warten muss geduldig sein, wie uns Jakobus in seinem Brief ermahnt: »Darum, Brüder, haltet geduldig aus bis zur Ankunft des Herrn! Auch der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde, er wartet geduldig, bis im Herbst und im Frühjahr der Regen fällt. Ebenso geduldig sollt auch ihr sein. Macht euer Herz stark, denn die Ankunft des Herrn steht nahe bevor« (Jak 5,7–8).