03.04.2017

Hl. Papst Johannes Paul II. zum heutigen Evangelium

Die beim Ehebruch ertappte Frau

Jesus begibt sich in die konkrete, geschichtliche Situation der Frau, eine Situation, die vom Erbe der Sünde belastet ist. Dieses Erbe kommt unter anderem in den Gewohnheiten zum Ausdruck, die die Frau zugunsten des Mannes diskriminieren, und ist auch in ihr selbst verwurzelt. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Episode von der Frau, »die beim Ehebruch ertappt wird« (vgl. 8, 3-11), besonders ergiebig zu sein. Zuletzt sagt Jesus zu ihr: »Sündige von jetzt an nicht mehr«; vorher aber weckt er das Schuldbewußtsein in den Männern, die sie anklagen, um sie zu steinigen, und offenbart so seine tiefe Fähigkeit, das Gewissen und die Werke der Menschen der Wahrheit gemäß zu sehen. Jesus scheint den Anklägern sagen zu wollen: Ist diese Frau mit ihrer ganzen Sünde nicht vielleicht auch und vor allem eine Bestätigung eurer Übertretungen, eurer »männlichen« Ungerechtigkeit, eurer Mißbräuche?

Diese Wahrheit ist für das ganze Menschengeschlecht gültig. Die im Johannesevangelium berichtete Begebenheit kann man in unzähligen ähnlichen Situationen in jeder Geschichtsepoche vorfinden. Eine Frau wird allein gelassen und mit »ihrer Sünde« der öffentlichen Meinung ausgesetzt, während sich hinter »ihrer« Sünde ein Mann als Sünder verbirgt, der »an der Sünde anderer« schuld, ja mitverantwortlich für sie ist. Seine Schuld entzieht sich jedoch der Aufmerksamkeit und wird stillschweigend übergangen: Für »fremde Schuld« erscheint er nicht verantwortlich! Manchmal macht er sich auch noch zum Ankläger, wie in dem geschilderten Fall, und vergißt dabei die eigene Schuld. Wie oft büßt in ähnlicher Weise die Frau für ihre Sünde (es kann durchaus sein, dass sie in gewissen Fällen schuld ist an der Sünde des Mannes); doch nur sie büßt und zahlt allein. Wie oft bleibt sie mit ihrer Mutterschaft verlassen zurück, wenn der Mann, der Vater des Kindes, die Verantwortung dafür nicht übernehmen will? Und neben den so zahlreichen «unverheirateten Müttern» in unserer Gesellschaft müssen wir auch an all jene Frauen denken, die sich sehr oft unter mancherlei Druck, auch von seiten des schuldigen Mannes, von ihrem Kind noch vor dessen Geburt »befreien«. Sie »befreien sich«: aber um welchen Preis? Die heutige öffentliche Meinung versucht auf verschiedene Weise das Übel dieser Sünde »wegzureden«; normalerweise jedoch vermag das Gewissen der Frau nicht zu vergessen, dass sie dem eigenen Kind das Leben genommen hat; denn sie ist nicht imstande, die ihrem Ethos am »Anfang« eingeschriebene Bereitschaft zur Annahme des Lebens auszulöschen.