03.01.2017

Kirchenaustritt ohne Kirchenausschluss

von Holger Gohla

Was wie ein Widerspruch klingt, ist der Wunsch mancher Katholiken. Für Dieter Kiene in Sigmaringen scheint er sich zu erfüllen: Sakramente ohne Kirchensteuer. Austritt ja, Exkommunikation nein. Diese Regelung hatte der Vatikan bereits 2006 angewiesen. Doch von deren Umsetzung will die katholische Deutsche Bischofskonferenz anscheinend wenig wissen.

Katholische Kirche: Sakramente ohne Kirchensteuer?

Dieter Kiene, Oberstleutnant i.R. aus Sigmaringen, ist noch immer erstaunt. Seinen Austritt aus der katholischen Kirche hat der 68-Jährige persönlich beim Standesamt erklärt. Doch die Kirche vollzog nicht zugleich seinen Ausschluss, also die Exkommunikation aus der Glaubensgemeinschaft.

Vatikan für Einzelfallprüfung

Der Ex-Soldat berief sich auf eine Weisung des Vatikans. Der „Päpstliche Rat für Gesetzestexte“ habe am 13. März 2006 verfügt, dass beim Kirchenaustritt eine kirchliche Autorität, zum Beispiel der Pfarrer, jeden Einzelfall eingehend überprüft, ob es sich um einen Abfall vom Glauben handelt. „In meinem Fall hat die Seelsorgeeinheit Sigmaringen schriftlich bestätigt, dass bei mir kein Glaubensabfall vorliegt“, so Kiene gegenüber dem SWR. Daraufhin habe er bei seinem Antrag zum Austritt aus der Amtskirche diese Bestätigung beigelegt und beantragt, nicht exkommuniziert zu werden. Allerdings hat der kirchenjuristische Offizial in Freiburg den „modifizierten Kirchenaustritt“ von Dieter Kiene noch nicht offiziell bestätigt.

Deutsche Amtskirche gegen Vatikan? Trotz Austritt gläubiger Katholik?

Wer bislang seinen Austritt aus der katholischen Kirche beantragt, der wird im Gegenzug als „Tatstrafe“ ohne weitere Überprüfung unverzüglich durch die Kirche exkommuniziert, darf also keine Sakramente mehr empfangen. Doch dagegen wehrt sich der Katholik Dieter Kiene.

„Ich bin ein gläubiger Mensch – und möchte weiterhin zur Gemeinschaft der Katholiken gehören“, bekennt der Sigmaringer und ergänzt: „Ich habe ein Problem mit der Amtskirche.“ Sie sei gegenüber Menschen manchmal zu hart. Zudem zeige sie nicht klar genug auf, was genau mit den Steuereinnahmen geschehe – und ob das Geld vor allem Bedürftigen zugutekomme.

Kirchensteueraustritt bisher unmöglich

Kiene ist nicht der erste brisante Kirchenaustritt. Im Südwesten wurde auch Hartmut Zapp bekannt. Der Freiburger Kirchenrechtsprofessor versuchte 2010, auf juristischem Wege aus der Kirche als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ auszutreten.

Allerdings entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH), ein reiner „Kirchensteueraustritt“ sei nicht möglich. Ein Kirchenaustritt sei nur dann wirksam, wenn der Katholik sich „ernsthaft und vollständig von der Religionsgemeinschaft lossagen“ wolle. Weitere Fragen seien innerkirchlich zu klären, urteilte der VGH.

Kirchenrecht: Einmal katholisch immer katholisch

Fälle wie Kiene oder Zapp sind „weder theologisch noch kirchenrechtlich vorgesehen“, sagt Kirchenrechtsexperte Prof. Dr. Thomas Schüller von der Universität Münster dem SWR. Wer einmal durch die Taufe in die katholische Kirche aufgenommen wurde, bleibe „dauerhaft katholisch“.

Laut dem Münsteraner Kirchenrechtsexperten macht der Vatikan inzwischen Druck auf die deutschen Bischöfe, die Weisung von 2006 auch umzusetzen. Dies würde bedeuten: Die Kirche müsste bei jedem Einzelfall überprüfen, ob ein Glaubensabfall vorliegt. „Man kann also nicht, wie das die deutschen Bischöfe tun, einfach mit einer Generalannahme (Präsumtion) sagen, alle die, die bürgerlicher Wirkung austreten, gelten als abgefallen“, so Schüller.

Kirchensteuerausgaben offenlegen

Er rät zudem der Kirche, offen zu erklären, was mit der Kirchensteuer geschieht. Rund 60 Prozent kämen den Kirchengemeinden zugute. Außerdem würden Schulen, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen mit einem „Eigenanteil“ mitfinanziert. Die treuesten Kirchensteuerzahler seien die „Kirchendistanzierten“. Besonders denen müsse man erklären, was mit ihrem Geld passiert, rät Professor Schüller.

http://www.swr.de/swr1/rp/programm/-/id=446640/vv=print/pv=print/nid=446640/did=7289380/19i6myz/index.html

 

 

Vatikanschreiben: Kirchenaustritt ist nicht Glaubensabfall?

 19.12.2010

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Ein Schreiben des vatikanischen Rates für die Gesetzestexte an Bischof Gebhart Fürst heizt die Debatte über das deutschsprachige Kirchensteuersystem an — Kirchenrechtler: „Das ganze ist eine wirkliche Bombe.“

Vatikan-Münster-Stuttgart (www.kath.net)

Vor wenigen Monaten wurde vom Vatikan ein Schreiben an den Bischof von Rottenburg-Stuttgart geschickt, das brisante Tatsachen in Bezug auf das Kirchensteuersystem beinhaltet, das in den deutschsprachigen Ländern angewandt wird. In einem Schreiben des vatikanischen Rates für die Gesetzestexte an Bischof Gebhard Fürst, das vom Kirchenrechtler Klaus Lüdicke im Münsterischen Kommentar zum CIC veröffentlicht wurde, heißt es, dass ein Katholik, der „beim Staat“ aus der Kirche „ausgetreten“ ist, weiterhin als Katholik gilt und daher formpflichtig in Bezug auf die Ehe ist. Das heißt, dass er vor einem Priester und zwei Zeugen heiraten muss.

Inwieweit mit diesem Vatikanschreiben vom 3. Mai 2005 auch das in den deutschsprachigen Ländern angewandte Kirchensteuersystem tangiert wird, ist unklar. Kirchenrechtler Klaus Lüdicke selbst meint gegenüber KATH.NET, dass dies nichts mit der „Kirchensteuerfrage“ zu tun habe. Es gehe nur darum, ob ein Katholik, der aus der Kirche ausgetreten ist und danach auf dem Standesamt die Ehe mit einer evangelischen Frau schließt, von der katholischen Kirche als gültig verheiratet betrachtet wird oder nicht. In Deutschland muss ein Kirchenaustritt entweder beim Amtsgericht oder beim Standesamt erklärt werden.

Mehrere Kirchenrechtler bezeichnen das Schreiben gegenüber KATH.NET allerdings als sehr brisant. Ein prominenter Kirchenrechts-Experte meinte in einer Stellungnahme: „Das ganze ist eine wirkliche Bombe, tief in den Fundamenten des Kirchensteuersystems. Die Frage ist jetzt: Wird diese Antwort in den Acta Apostolica Sedis veröffentlicht als offizielle authentische Interpretation des CIC? Oder bleibt es ein Schreiben des Päpstlichen Rats an einen einzelnen Bischof, wie es auch schon mal vorkommt bei diesem Rat, ohne weitere Folgen?“

Wenn es offizielle amtliche Doktrin werde, gehe es der Kirchensteuer an den Kragen. Wesentlich an der Sache sei Punkt c (Wortlaut des Textes siehe unten, Anm. d. Red.): Man muss den Abfall von der Kirche vor dem Ordinarius (Bischof/Generalvikar) oder vor dem Pfarrer erklären. Dies sei in Deutschland derzeit nicht der Fall. „Dort muss man das vor dem Amtsgericht oder Standesamt tun. Somit gilt laut diesem Schreiben der ,Austritt’ nicht als Abfall von der Kirche.“

Auch bei einigen Bischöfen aus Deutschland hat das Schreiben, dessen Tragweite derzeit noch nicht abschätzbar ist, wie KATH.NET erfahren konnte, für erhebliche Irritationen gesorgt. Eine offizielle Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz gibt es nicht.

Das Schreiben aus dem Vatikan an das Bistum Rottenburg-Stuttgart im Wortlaut:

(Die Übersetzung aus dem Italienischen von Lüdicke, MK zum CIC, c. 1086 Rn. 3)

Das Verlassen der Kirche oder die Trennung von ihr muss sich, um gültig als actus formalis mit den Wirkungen des c. 1117 CIC betrachtet zu werden, in folgenden Elementen konkretisieren:

a) die innere Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen. Der Inhalt des formalen Aktes muss der Bruch jener Bande der Gemeinschaft — Glaube, Sakramente, pastorale Leitung — sein, die dem Gläubigen den Empfang des Lebens der Gnade im Inneren der Kirche möglich machen. Das bedeutet, dass ein solcher Formalakt des Abfalls nicht nur einen juristisch-administrativen Charakter hat (der Austritt aus der Kirche im melderechtlichen Sinne mit den entsprechenden zivilen Wirkungen), sondern sich als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen der Kirche darstellt: Er setzt daher einen Akt der Apostasie, der Häresie oder des Schismas voraus.

b) Äußere Setzung und Kundmachung dieser Entscheidung. Die formelle oder materielle Häresie, das Schisma und die Apostasie stellen für sich nicht einen formalen Akt des Abfalls von der Kirche dar, wenn sie nicht äußerlich konkretisiert und der zuständigen kirchlichen Autorität in der vorgeschriebenen Weise kundgetan sind. Es muss sich also um einen gültigen Rechtsakt handeln, der von einer kanonisch fähigen Person und in Übereinstimmung mit der kanonischen Rechtsordnung, die ihn regelt, gesetzt ist (c. 124-126 CIC). Ein solcher Akt muss in persönlicher, bewusster und freier Weise gesetzt worden sein.

c) Direkte Annahme dieser Entscheidung seitens der zuständigen kirchlichen Autorität. Es ist erforderlich, dass der Akt durch den Betroffenen persönlich vor der zuständigen kirchlichen Autorität (eigener Ordinarius oder Pfarrer) kundgetan wird, der allein es zusteht zu beurteilen, ob ein Willensakt gegeben ist, und ihn mit Unterschrift zu bestätigen. Folglich konstituiert nur das Zusammentreffen der beiden Elemente — theologische Bedeutung des inneren Aktes und seine Kundgabe in der so definierten Weise — den actus formalis defectionis ab ecclesia catholica im Sinne des c. 1117 CIC“

 

 

Kirchensteuer: Wer zahlt, der glaubt?

Von Stephan U. Neumann

Ein Dekret der Bischofskonferenz legt mit Zustimmung des Vatikans fest, dass die Zugehörigkeit zur Kirche in Deutschland verbunden ist mit der Bereitschaft, als Einkommenssteuerpflichtiger Kirchensteuern zu zahlen. Damit wird ein Sonderrecht für die Bundes­republik bestätigt.

Nur wer zahlt, glaubt? Zumindest gilt für die deutschen Katholiken, dass nur der zur Kirche gehört und die Sakramente empfangen darf, der als Einkommenssteuerpflichtiger auch Kirchensteuer bezahlt. Mit einem allgemeinen Dekret haben die deutschen Bischöfe am 20. September — so ihre Sicht — den jahrelangen Rechtsstreit zwischen ihnen und einzelnen Katholiken sowie dem Vatikan um die Regelung des bloß steuerlich-materiell motivierten Kirchenaustritts beendet. Partikularrechtlich, also nur für den deutschen Teil der katholischen Weltkirche geltend und von Rom abgesegnet, ist die Erklärung des Austritts aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts vor der zuständigen staatlichen Behörde „eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche“ und „eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“. Wer — „aus welchen Gründen auch immer“ — austritt, „verstößt damit gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren…, und gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann“.

Die weltweit in dieser Form einzigartige Verflechtung von Staat und Kirche hierzulande hat überhaupt zu dem seit Jahren schwelenden Konflikt geführt. Denn theologisch gilt grundsätzlich: einmal getauft, immer Teil der Kirche. Entsprechend heißt es in einem Dokument des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 2006, das von Papst Benedikt approbiert wurde: „In jedem Fall bleibt klar, dass das sakramentale Band der Zugehörigkeit zum Leib Christi, der die Kirche ist, aufgrund des Taufcharakters ein ontologisches Band ist, das fortdauert und wegen des Aktes oder der Tatsache des Abfalls nicht erlischt.“ Die in Deutschland gewährte Religionsfreiheit erlaubt allerdings, dass man keiner Religionsgemeinschaft angehören beziehungsweise sich von ihr lossagen kann. Es gibt die Möglichkeit, gegenüber einer staatlichen Stelle den Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erklären, für die der Staat sozusagen als Dienstleister auch die Kirchensteuer einzieht, wofür er bezahlt wird.

Durch den Austritt aus der Kirchensteuerpflicht vor dem Standesamt oder dem Amtsgericht wurden katholische Getaufte bislang automatisch exkommuniziert, also aus der Glaubensgemeinschaft verbannt. „Wer — aus welchen Gründen auch immer — den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt, zieht sich die Tatstrafe der Exkommunikation zu…“, hieß es in einer Erklärung der Bischofskonferenz vom 24. April 2006.

Exkommuniziert — nur anders

Das Wort „Exkommunikation“ fehlt allerdings im aktuellen Dekret. Die ausführlich darin aufgelisteten Folgen entsprechen aber der härtesten Kirchenstrafe. Die ausgetretene Person ist zum Beispiel vom Sakramentempfang ausgeschlossen, darf weder Tauf- noch Firmpate sein, und es kann ihr das kirchliche Begräbnis verweigert werden. Dass es sich faktisch um eine Exkommunikation handelt, ohne dieses harte Wort zu nennen, bestätigt eine Aussage des Sekretärs der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, gegenüber dem Kölner „Domradio“: „Wir reden nicht von Exkommunikation im strafrechtlichen Sinn der Kirche, sondern wir reden von Folgen, die gleichwohl in der Sache selbst weitestgehend identisch sind mit den bisherigen Folgen.“

Seit Jahren streitet der frühere Freiburger Kirchenrechtsprofessor Hartmut Zapp dagegen, dass die Kirche den Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts automatisch als Glaubensabfall bewertet und mit der Exkommunikation bestraft. Um dies in einem Präzedenzfall gerichtlich klären zu lassen, hatte er 2007 selbst vor dem Standesamt seines Wohnorts den Kirchenaustritt erklärt. Allerdings ließ er im Formular hinter der Religionsgemeinschaft den Zusatz „der Körperschaft öffentlichen Rechts“ eintragen. Denn Zapp betrachtet sich weiter als gläubig, als Teil der katholischen Kirche, er will weiter beten, beichten, die Eucharistie empfangen — und ist eben auch bereit, einen „angemessenen“ Beitrag zu leisten, damit der Kirche gemäß Kanon 222, §1 des kirchlichen Gesetzbuchs „die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind“.

Ein solcher „Teilaustritt“ stellt also nicht zwingend einen Verstoß gegen die im Kirchenrecht festgelegten Pflichten des Gläubigen dar, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren und einen angemessenen finanziellen Beitrag zu leisten. Zapp sieht in seinem Schritt „in erster Linie einen Protest gegen die als überhöht, nicht zu selten als Belastung empfundene Kirchensteuer“, wie er 2006 in seinem Aufsatz „‚Kirchenaustritt‘ aus steuerlichen Gründen — nun straffrei“ auf der Internetseite für Staatskirchenrecht „NomoK@non“ (http://www.nomokanon.de/aufsaetze/008.htm) schrieb. Denkbar sei auch ein Protestaustritt, weil das Steueraufkommen fern der kirchlichen Sendung und Seelsorge verwendet würde.

Grundlegend stellt sich die Frage, was ein angemessener Beitrag der Gläubigen für ihre Kirche ist, gerade mit Blick auf vergleichbare europäische Länder. Zapp verweist auf die italienische Kultursteuer, deren Höhe sowohl von der italienischen Bischofskonferenz als auch vonseiten des Apostolischen Stuhls ausdrücklich als angemessener Kirchenbeitrag bewertet wird. Mit acht Promille der Einkommenssteuer beträgt sie jedoch gerade einmal ein Zehntel dessen, was die deutschen Bischöfe von ihren Kirchenmitgliedern verlangen. Dies führt Zapp zu der Frage: „Ist es ‚angemessen‘, von den Katholiken in Deutschland … die wohl höchste Kirchenfinanzierungsleistung in der katholischen Weltkirche einzufordern?“ Neben den überhöhten Beiträgen stößt sich Zapp daran, dass ein Getaufter aufgrund einer Erklärung vor einer staatlichen Behörde sein Seelenheil verlieren soll.

Drohbotschaft einer satten Kirche?

Das zuständige Erzbistum Freiburg hatte gegen den Eintrag eines Zusatzes vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Ein Austritt sei nur ohne Bedingungen und ohne Kommentare gültig. Während Zapp in erster Instanz Recht bekam, urteilte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass ein teilweiser Kirchenaustritt unzulässig sei. Man könne nicht nur aus dem staatlichen Rechtskreis austreten. Ob es eine Kirchenmitgliedschaft ohne Steuerpflicht geben könne, sei „allein innerkirchliche Angelegenheit“. Am Mittwoch hat nun das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, dass die Austrittserklärung nicht auf den staatlichen Bereich beschränkt werden kann. „Wir spielen da den Ball zurück ins Feld innerkirchenrechtlicher Auseinandersetzungen“, sagte der Vorsitzende Richter.

Kritik am deutschen Kirchensteuersystem kommt vor allem von zwei gegensätzlichen Seiten. Die Kirchenreformbewegung „Wir sind Kirche“ wehrt sich gegen die „Drohbotschaft“, dass mit Sakramentenentzug bestraft wird, wer nicht zahlt. Auf der anderen Seite des Spektrums kritisieren betont traditionalistische Kreise, dass mit der engen Verbindung zum Staat eine übermäßige Liberalität in eine satte, angepasste Kirche Einzug gehalten habe. Die Kirche müsse eine Kontrastgesellschaft gegen den Zeitgeist sein. Sie dürfe sich nicht zum Büttel des Staates machen lassen. Entsprechend wird eine radikale Entweltlichung gefordert, die selbst vor einer Abkoppelung der theologischen Fakultäten von staatlichen Universitäten nicht haltmacht. Dass die vergleichsweise üppige Kirchenfinanzierung zu großen Verwaltungsapparaten in den Bistümern, so manchem Pomp und zu teils konzernartigen Strukturen im sozialen Bereich geführt habe, wird allerdings aus ganz unterschiedlichen Richtungen beklagt.

Die Kirchenreformer schielen meist in die Schweiz. In den deutschsprachigen Kantonen dürfen Religionsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, ebenfalls Kirchensteuern erheben. Dies ist allerdings daran gebunden, dass es eine wirklich zweigliedrige Struktur gibt: die in Bistümer unterteilte Glaubensgemeinschaft einerseits und die staatlich anerkannten, demokratisch strukturierten Landes- beziehungsweise Kantonskirchen andererseits. Dem subsidiären Prinzip entsprechend werden die Einnahmen von unten nach oben zugeteilt. Die Kirchengemeinden — nicht die Bischöfe — entscheiden in Finanz- und Personalfragen. Dies führt gerade bei Projekten auf Ebene des Bistums oder der gesamten Eidgenossenschaft immer wieder zu Schwierigkeiten. Ähnliches gilt in — einzelnen — Fällen, beispielsweise dort, wo der Bischof den von der Pfarrgemeinde gewählten Pfarrer ablehnt.

Diese „Demokratisierung“ der Kirche über das Staat-Kirche-Verhältnis lehnen traditionelle Katholiken ab. Gerichtlich wurde in der Eidgenossenschaft bereits zwei Mal entschieden, dass Personen, die aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgetreten sind, sehr wohl weiter der Glaubensgemeinschaft angehören können. Während die Mehrheit der überwiegend deutschsprachigen Bistümer am zweigliedrigen System festhalten will, macht das Bistum Chur heftig Stimmung dagegen (vgl. CIG Nr. 38, S. 418). Den 2009 eingerichteten „Solidaritätsfonds“ des Bistums für Gläubige, die keine Kirchensteuer zahlen wollen, haben nach Angaben der „Schweizerischen Kirchenzeitung“ jedoch bis August dieses Jahres lediglich 22 Personen genutzt. Das Beispiel der französischsprachigen Westschweiz zeigt wiederum, dass eine Kirchenfinanzierung allein durch freiwillige Spenden zu massiven materiellen Ausfällen führen würde.

Bürokratisch statt pastoral

Ein gewichtiges Argument war bisher immer, dass auch der Vatikan das deutsche System missbilligt hat. Auf die gravierenden Widersprüche, die zwischen der deutschen Regelung und dem von Papst Benedikt XVI. genehmigten Dokument des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte von 2006 deutlich werden, hat auch Hartmut Zapp hingewiesen. Denn gemäß vatikanischer Auffassung setzt die Exkommunikation einen echten Glaubensabfall voraus und damit eine innere Entscheidung, die Kirche zu verlassen. Dieser Abfall vom Glauben muss öffentlich bekundet und von einer kirchlichen Autorität angenommen werden, nicht durch eine Staatsbehörde.

Den inneren Willen, die Kirche zu verlassen, kann man dem Kirchenrechtler Zapp aber gerade nicht unterstellen. Auch die Forderung, dass der Glaubensabfall vor einer kirchlichen Autorität erklärt werden muss — der Rat sprach „von der zuständigen kirchlich katholischen Autorität…, vor dem Ordinarius oder dem eigenen Pfarrer“ — wurde in Deutschland schlicht ignoriert. Es stellt sich sogar die Frage, ob hier nicht der Staat mit seiner Verpflichtung zur Neutralität in religiösen Dingen in Konflikt kommt, wenn einer seiner Beamten für die Kirche eine Erklärung mit so weitreichenden Folgen annimmt.

Das nun erlassene Dekret versucht der vatikanischen Forderung dadurch entgegenzukommen, dass es die Pfarrer verpflichtet, einen vorformulierten und ebenfalls vom Vatikan genehmigten Brief an die Ausgetretenen zu verschicken, in dem diese zum Gespräch eingeladen werden. Wer sich dabei weigert, seine Entscheidung rückgängig zu machen, wird wohl exkommuniziert.

Und was ist mit der großen Mehrheit der Getauften, die in der Praxis nie auf den Brief vom Pfarramt antworten werden? Diese sind dem Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering zufolge Katholiken, die in ihren Rechten eingeschränkt sind, vergleichbar mit jenen, die in schwerer Sünde leben. Für Haering ist das Dekret eine pragmatische Entscheidung, auch wenn es sich bei der Regelung der Kirchensteuer immer um „ein Tischtuch handelt, das nie ganz auf den Tisch passt“. Die Kirche sei nun einmal gemäß der Dogmatischen Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils, „Lumen gentium“, als eine einzigekomplexe Gestalt zu sehen und könne nicht in eine sichtbare, irdische und eine geistliche, himmlische getrennt werden. Wer zum Leib Christi gehören wolle, müsse die Tatsache, dass es sich hierzulande um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, hinnehmen. Wer sich öffentlich von der Körperschaft lossage, tue dies ebenso von der Kirche Christi. Dies werde auch gesellschaftlich so wahrgenommen. Auf die meisten, die austreten, trifft das jetzt erörterte Problem jedoch gar nicht zu, weil ihr Motiv ja tatsächlich der Glaubensverlust ist.

Der Brief an die Ausgetretenen ist zwar als „Pastorales Schreiben“ überschrieben, wirkt aber in Form und Inhalt kalt und bürokratisch. Nach einem kurzen Absatz des „Bedauerns“ wird der Austritt vor der zivilen Behörde als „schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“ bezeichnet. Einzeln werden die nun fehlenden Mitgliedsrechte aufgezählt. „Das Signal nach außen ist katastrophal“, meint dazu die „Süddeutsche Zeitung“. Denn „es geht nicht um die Ausgetretenen, es geht um die Rettung der Kirchenfinanzen. Es geht nicht in erster Linie darum, auf Menschen zuzugehen, die sich abwenden, die hadern, denen fremd geworden ist, wofür die Kirche steht — sondern es zählt, die Institution zu sichern.“

Viele zahlen trotz Glaubensverlust

Die deutschen Bischöfe haben mit ihrem Dekret zum Kirchenaustritt eine historische Chance vertan. In einer Zeit, in der vieles aufgerechnet wird, in der man mit Geld fast alles kaufen kann und in der auch die religiösen Autoritäten ständig den Materialismus auf allen Ebenen anprangern, wäre es ein starkes Zeichen gewesen, selbstkritisch und im Dialog mit all jenen, die es mit dem Glauben ernst meinen, die Finanzierung über die Kirchensteuer zu überprüfen. Ob die Möglichkeit, Teil der Kirche zu sein, ohne Kirchensteuer zu entrichten, wirklich zu massenhaften Austritten führt, bliebe ohnehin abzuwarten. Denn fast neunzig Prozent der kirchensteuerzahlenden Christen nehmen das wöchentliche Angebot der Eucharistiefeier oder des Gottesdienstes schon jetzt nicht mehr an. Immer mehr bleiben den weiteren Sakramenten fern. Dass Menschen ohne zu zahlen Heilsangebote der Kirche in Anspruch nehmen, ist faktisch gar nicht das Problem. Das eigentliche Problem liegt darin, dass viele die Kirchensteuer zahlen und nominell der Glaubensgemeinschaft angehören, obwohl sie den Christusglauben verloren haben oder dieser ihnen nichts mehr für ihr Leben bedeutet. Den Beitrag bezahlen sie, weil die Kirche Soziales tue, weil Religion eine wesentliche gesellschaftliche Kraft sei.

Die Kirche ist kein (Sozial-)Verein, sie ist eine Glaubensgemeinschaft. Entscheidend ist nicht, ob man pünktlich den Mitgliedsbeitrag entrichtet, sondern ob man Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi bezeugt. Die Kirche sollte darauf vertrauen: Wer glaubt, der ist auch wie bereits in der Urgemeinde bereit, solidarisch bis ins Materielle hinein zu teilen.

 

 

Vatikan approbiert Schreiben zum 'Kirchenaustritt'

05 März 2007, 09:26

Es wird festgestellt, dass der Kirchenaustritt nicht automatisch Glaubensabfall bedeutet. Dies sorgt seit Ende 2005 für heftige Diskussionen bei Bischöfen und Theologen.

Vatikan (www.kath.net)

Papst Benedikt XVI. hat das inzwischen bekannte Schreiben des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte zum so genannten „Kirchenaustritt“ als Formalakt approbiert und in den „Communicationes 38 (2006), S. 175-177“ bekanntgemacht. Damit wurde die Bedeutung des Schreibens weiter erhöht. KATH.NET hat im Dezember 2005 erstmals auf das Schreiben exklusiv mit der Schlagzeile „Vatikanschreiben: Kirchenaustritt ist nicht Glaubensabfall?“ hingewiesen.

Seither wird im deutschsprachigen Raum auf bischöflicher Ebene heftig darüber diskutiert. Im Jahr 2006 meinte der Ständige Rat der Bischöfe in Deutschland, die vatikanische Klarstellung berühre „nicht die in der deutschen Rechtstradition stehende staatliche Regelung für den ,Kirchenaustritt'„.

Der deutsche Kirchenrechtler Georg Bier meinte in der „Herder Korrespondenz“, dass der päpstliche Rat für die Gesetzestexte die „Position der deutschen Bischöfe“ nachhaltig erschüttert habe. Die Deutsche Bischofskonferenz habe gegen die jüngste Anordnung des Vatikans zum Umgang mit Kirchenaustritten verstoßen.

Er bezeichnete die Position der deutschen Bischöfe als „kirchenrechtlich problematischer denn je“. Wörtlich sagte der Kanonist: „Möglicherweise fürchten die deutschen Bischöfe: Wenn der Kirchenaustritt nicht mehr mit schweren Strafen bedroht ist, könnte die Hemmschwelle für einen solchen Schritt sinken.“ Der Theologe sieht es aber als „problematisch“, aus Sorge um einen Rückgang des Kirchensteueraufkommens zu „nicht-rechtskonformen Mitteln“ zu greifen.

KATH.NET dokumentiert das Schreiben, das für den deutschsprachigen Kirchenbereich von sehr großer Brisanz ist, im offiziellen Wortlaut:

Vatikanstadt, 13. März 2006

Prot. N. 10279/2006

Eminenz,

schon seit längerer Zeit haben Bischöfe, Offiziale und andere Fachleute des Kanonischen Rechtes diesem Päpstlichen Rat Zweifel und Anfragen zur Klärung hinsichtlich des sogenannten actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica vorgelegt, auf den in den Canones 1086 § 1, 1117 und 1124 des Codex des Kanonischen Rechtes Bezug genommen wird. In der Tat handelt es sich um einen in der kanonischen Gesetzgebung neuen Begriff, der sich unterscheidet von den anderen, eher »virtuellen« Modalitäten (die auf dem Verhalten basieren) des »offenkundigen« oder einfach »öffentlichen« Glaubensabfalls (vgl. c. 171 § 1, 4°; 194 § 1, 2°, 316 § 1, 694 § 1, 1°; 1071 § 1, 4° und § 2), Umstände, in denen die in der katholischen Kirche Getauften oder in sie Aufgenommenen durch rein kirchliche Gesetze verpflichtet sind (vgl. c. 11).

Das Problem wurde von den zuständigen Dikasterien des Heiligen Stuhls sorgfältig untersucht, um vor allem die theologisch-lehrhaften Inhalte dieses actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica genau zu fassen, und danach die Erfordernisse oder juridischen Formalitäten zu präzisieren, die notwendig sind, damit dieser sich als ein wirklicher »formaler Akt« des Abfalls darstellt.

Nachdem hinsichtlich des ersten Aspekts die Entscheidung der Kongregation für die Glaubenslehre vorlag und die gesamte Frage in der Vollversammlung untersucht wurde, teilt dieser Päpstliche Rat den Präsidenten der Bischofskonferenzen Folgendes mit:

1. Der Abfall von der katholischen Kirche muss, damit er sich gültig als wirklicher actus formalis defectionis ab Ecclesia darstellen kann, auch hinsichtlich der in den zitierten Canones vorgesehenen Ausnahmen, konkretisiert werden in:

a) einer inneren Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen;

b) der Ausführung und äußeren Bekundung dieser Entscheidung;

c) der Annahme dieser Entscheidung von seiten der kirchlichen Autorität.

2. Der Inhalt des Willensaktes muss bestehen im Zerbrechen jener Bande der Gemeinschaft — Glaube, Sakramente, Pastorale Leitung -, die [176] es den Gläubigen ermöglichen, in der Kirche das Leben der Gnade zu empfangen. Das bedeutet, dass ein derartiger formaler Akt des Abfalls nicht nur rechtlich-administrativen Charakter hat (das Verlassen der Kirche im meldeamtlichen Sinn mit den entsprechenden zivilrechtlichen Konsequenzen), sondern dass er sich als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen des Lebens der Kirche darstellt: Er setzt also einen Akt der Apostasie, Häresie oder des Schisma voraus.

3. Der rechtlich-administrative Akt des Abfalls von der Kirche kann aus sich nicht einen formalen Akt des Glaubensabfalls in dem vom CIC verstandenen Sinn konstituieren, weil der Wille zum Verbleiben in der Glaubensgemeinschaft bestehen bleiben könnte. Andererseits konstituieren formelle oder (noch weniger) materielle Häresie, Schisma und Apostasie nicht schon von selbst einen formalen Akt des Abfalls, wenn sie sich nicht im äußeren Bereich konkretisieren und wenn sie nicht der kirchlichen Autorität gegenüber in der gebotenen Weise bekundet werden.

4. Es muss sich demnach um einen rechtlich gültigen Akt handeln, der von einer kanonisch rechtsfähigen Person gesetzt wird, in Übereinstimmung mit der kanonischen Norm, die ihn regelt (vgl. cc. 124-126). Dieser Akt muss persönlich, bewusst und frei getätigt werden.

5. Es wird überdies verlangt, dass der Akt von dem Betroffenen schriftlich vor der zuständigen kirchlich katholischen Autorität bekundet wird: vor dem Ordinarius oder dem eigenen Pfarrer, dem allein das Urteil darüber zusteht, ob wirklich ein Willensakt des in Nr. 2 beschriebenen Inhalts vorliegt oder nicht.

Daher wird der actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica mit den entsprechenden kirchenrechtlichen Sanktionen (vgl. c. 1364 § 1) nur vom Vorhandensein der beiden Elemente konstituiert, nämlich vom theologischen Profil des inneren Aktes und von seiner Bekundung in der festgelegten Weise.

6. In diesen Fällen sorgt dieselbe kirchliche Autorität dafür, dass der Eintrag im Taufbuch (vgl. c. 535 § 2) erfolgt mit dem ausdrücklichen Vermerk »defectio ab Ecclesia catholica actu formali«.

7. In jedem Fall bleibt klar, dass das sakramentale Band der Zugehörigkeit zum Leib Christi, der die Kirche ist, aufgrund des Taufcharakters ein ontologisches Band ist, das fortdauert und wegen des Aktes oder der Tatsache des Abfalls nicht erlischt.

[177]

In der Gewissheit, dass der dortige Episkopat in Anbetracht der Heilsdimension der kirchlichen Gemeinschaft die pastorale Motivation dieser Normen gut verstehen wird, verbleibe ich mit herzlicher Verbundenheit

im Herrn

Ihr JULIÀN KARD. HERRANZ

Präsident

+ BRUNO BERTAGNA

Sekretär

Die vorliegende Mitteilung wurde approbiert von Papst Benedikt XVI., der die amtliche Bekanntmachung an alle Präsidenten der Bischofskonferenzen angeordnet hat.

Nun ist das Dokument in „Communicationes“ auf Seite 175 ff. in deutscher Sprache approbiert vom Heiligen Vater herausgekommen. Es ist auch im Internet auffindbar:

www.vatican.va

http://mypage.bluewin.ch/libertas-ecclesiae/dok_6.htm

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